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Über Boxen

Über Boxen

Titel: Über Boxen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Carol Oates
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es vielleicht sein viel geschmähter Vorgänger Jack Johnson hätte werden können, wäre da nicht der überwältigende Widerstand der weißen Rassisten jener Zeit gewesen. Und Ali wurde auch als Moslem zum Pionier, dessen standhaftem Beispiel folgend Sportler wie Lew Alcindor/Kareem Abdul-Jabbar 5 ihren Namen ändern und offen als Anhänger einer entschieden nichtchristlichen, nichttraditionellen Religion auftreten konnten.
    Aus der Perspektive des neuen Jahrhunderts gesehen, waren die Siebzigerjahre eine Übergangsperiode, in der im Sport gewissermaßen eine neue Ära anbrach. Wenn der Sportstar mit seinem astronomischen Vertrag heute ein fester Begriff im Bewusstsein der amerikanischen Öffentlichkeit ist, geht das auf keinen anderen zurück als auf Muhammad Ali, vormals Cassius Clay aus Louisville, Kentucky.
    Unter Boxhistorikern und -fans wird endlos gestritten, ob nun Ali oder Joe Louis der größte Schwergewichtsboxer der Geschichte war. (Und was ist mit dem ungeschlagenen Rocky Marciano?) Es steht jedoch außer Frage, dass Ali als Athlet, Champion und Kultfigur wie kein anderer Boxer vor und wahrscheinlich auch nach ihm große Bedeutung über den Sport hinaus erlangt hat. (Vor Alis Aufstieg in den Kämpfen gegen Joe Frazier war es der rachedurstige, glanzvoll triumphierende Joe Louis im Kampf Louis/Schmeling im Juni 1938 , der die Fantasie des Publikums am meisten beschäftigte. 1936 war Louis von Nazideutschlands «Herrenmenschen»-Athleten geschlagen worden und kehrte nun als Vierundzwanzigjähriger zurück, um Schmeling im berühmtesten Boxkampf der amerikanischen Geschichte nach hundertvierundzwanzig Sekunden durch Knock-out zu besiegen.)
    Muhammad Alis kometenhafter Aufstieg zu einem berühmten, hochbegabten, wenn auch eigenwilligen und eigensinnigen jungen Boxer Anfang der Sechzigerjahre gipfelte in seinem unerwarteten Sieg über den Schwergewichtschampion Sonny Liston1964 , und dies fiel zufällig mit mindestens drei für diese Epoche charakteristischen historischen Entwicklungen zusammen: erstens die Intervention in Vietnam, in die sich Amerika immer tiefer verstrickte, ein konventioneller und dennoch so noch nie da gewesener Krieg, der die amerikanische Gesellschaft in Klassen, Generationen und politische und patriotische Gefolgschaften spaltete; zweitens die Entstehung separatistischer schwarzer Bürgerrechtsbewegungen nach der Ermordung von Martin Luther King jr. 1968 (natürlich hat es sie schon vorher gegeben) und die Erkenntnis der militanten schwarzen Führer, dass die schwarze Bewegung seit den Erfolgen in den Fünfzigerjahren auf der Stelle getreten hatte; drittens der immer stärker werdende Einfluss der Medien und – nennen wir es mal so – die wachsende elektronische Massenvermarktung eines «Images» unabhängig vom Inhalt.
    «Der Stil macht den Kampf», sagte Alis großer Trainer Angelo Dundee und bezog sich damit auf die Leistungen seines erstaunlichen jungen Boxers im Ring, aber diese Erkenntnis lässt sich auch auf die massenhafte Verbreitung eines Images im Allgemeinen anwenden. Cassius Clay/Muhammad Ali offenbarte sich bald als Meister eines neuen, radikal bilderstürmerischen Stils im öffentlichen Leben. Er weigerte sich, so zurückhaltend und vorsichtig wie seine schwarzen Vorgänger Louis, Ezzard Charles, Jersey Joe Walcott und Floyd Patterson aufzutreten; der verwegene, triumphierende Stolz auf seine schwarze Haut erinnert an Jack Johnson, den umstrittenen ersten schwarzen Schwergewichtschampion (1908 bis 1915), dessen Beispiel die schwarzen Sportler und ihre weißen Trainer und Manager nicht folgen wollten. (Man vergleiche den viel vorsichtigeren, wenn auch vielleicht nicht weniger schwierigen Kurs von Jackie Robinson im vorhergehenden Jahrzehnt.) Obwohl verkompliziert durch Religion, Rasse und «Ego», war die wesentliche Botschaft von Cassius Clay/Muhammad Ali Ende der Sechziger, Anfang der Siebziger doch einfach und herausfordernd: Ich muss nicht so sein, wie ihr mich haben wollt.
    Kein anderer Athlet hat eine solche Presse gehabt wie Ali – anklagend und anbetend, verurteilend und lobpreisend, triefend vor Hass und überschäumend vor Liebe. Von Anfang an, noch als junger Cassius Clay, hatte er offenbar beschlossen, sich beim Aufbau seines Images nicht wie die meisten Athleten zurückzuhalten, sondern die Bedingungen für sein Ansehen in der Öffentlichkeit selbst zu bestimmen. Da der Sport sowohl ein Spiegel menschlicher Aggressionen ist als auch das in höchstem

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