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Über Boxen

Über Boxen

Titel: Über Boxen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Carol Oates
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Grade kontrollierte, «spielerische» Ausleben dieser Aggressionen, ist der öffentlich agierende Athlet eine Spielfigur, ein äußerst selbstbewusster, kontrollierter Schauspieler in einem theatralischen Ereignis. Clay/Ali brachte in den todernsten Boxsport eine unerwartet rauschhafte Freude, die nichts mit seiner politisch-religiösen Mission zu tun hatte und ihr vielleicht sogar zuwiderlief. Sein Wesen schien von Grund auf kindlich zu sein; den Trickster 6 zu spielen, entsprach seiner Natur. «Meine Witzeleien, meine Einfälle, meine Schauspielerei – es braucht ganz schön viel, bis ein anderer Boxer so populär wird wie Muhammad Ali», sagte er 1975 in einem Interview. «Wenn ich arbeite, spiele ich. Vor einem Kampf versuche ich immer, jeden Tag etwas Lustiges zu sagen, und ich rede mit achtzig Sachen … Ich habe 1954 mit dem Boxen angefangen, da war ich gerade zwölf. Seither ist viel Zeit vergangen. Aber es gibt immer einen neuen Kampf, auf den ich mich freuen kann, einen neuen Werbegag, einen neuen Grund zum Kämpfen.»

    Abb. 5: Muhammad Ali
    Miami, Florida, 1966.

    Abb. 6: Mike Tysons K.-o.-Schlag gegen Tyrell Biggs (hinten) in der 7. Runde ihres Weltmeisterschaftskampfes am 16. Oktober 1987 in Atlantic City, New Jersey.
    Gleichzeitig nimmt Ali seine Mission als Mitglied der Nation of Islam todernst; seine Hingabe an den muslimischen Glauben hat nichts Spielerisches oder Betrügerisches. («Moslems … leben ihre Religion – wir sind nicht scheinheilig. Wir unterwerfen uns ganz und gar Allahs Willen.»)
    Es war immer etwas Rätselhaftes um Clay/Ali, eine Doppelzüngigkeit, die auf eine grundsätzliche Trennung von öffentlichem und privatem Leben schließen ließ. Und wie deutlich zeigt Alis Karriere über fast drei Jahrzehnte die verschiedenen Gesichter der medialen Aufmerksamkeit! Heute steht Ali im sechsten Lebensjahrzehnt und hat sich längst aus dem Sport, der ihn berühmt, und aus der Widerstandspolitik, die ihn berüchtigt gemacht hat, zurückgezogen; jetzt genießt er allgemeines Wohlwollen. Er ist eine weltweit bekannte «amerikanische Ikone» geworden, ein Markenname, der für Erfolg steht. Er ist Moslem geblieben, gehört aber nicht mehr der Nation of Islam an und äußert sich nicht mehr politisch. Er ist ein Megastar geworden, und wie alle solche Stars losgelöst von der Geschichte, ein von den Massen kultisch verehrter ewiger Zeitgenosse von Elvis Presley und Marilyn Monroe.
    Natürlich war es nicht immer so. In den Jahren, nachdem er als Mitglied der Nation of Islam den Kriegsdienst verweigert hatte, war Ali eine der meistgeschmähten Personen des öffentlichen Lebens in Amerika; in den Augen des Außenministeriums ein «mögliches Sicherheitsrisiko». Das Boxpublikum begrüßte ihn nicht mehr mit beschwörenden Sprechchören «A-li! A-li! A-li!», sondern mit Buhrufen. Nur selten begegnet man einem Sportler, der um seiner Prinzipien willen zum Märtyrer wird, einem Sportler, der sich zu einer Figur stilisiert, mit der seine Rasse sich identifizieren und auf die sie stolz sein kann. (Es ging immer um die im Lauf der Zeit stereotyp geäußerte Hoffnung, dass schwarze Athleten wie Joe Louis oder Jackie Robinson ihrer Rasse «Ehre einbringen» würden. Rassenkonfrontation und -konflikte waren nicht erwünscht.) Das Thema «Rasse» stand an erster Stelle in Alis Strategie, das Selbstvertrauen eines Gegners zu untergraben und raffiniert, wenn auch manchmal grausam, sich selbst als «schwarzen» Boxer hinzustellen und den anderen als «Schwarzen des weißen Mannes». Floyd Patterson, vom weißen Amerika sehr bewundert, eignete sich hierfür besonders:
    Der kriegt was aufs Dach,
    dann leg ich ihn flach,
    vielleicht wird er dann
    ein schwarzer Mann.
    (In Wirklichkeit legte Ali Patterson nicht flach, sondern demütigte ihn in einem langwierigen, äußerst anstrengenden Kampf.) Schon als frecher zweiundzwanzigjähriger Herausforderer um den Schwergewichtstitel wagte er es, den Champion Sonny Liston als «hässlichen alten Bären» oder «hässlichen, trägen Bären» zu verspotten – Liston, der Patterson dermaßen vermöbelt hatte! Jahre später, 1975 , sollte Ali Joe Frazier schonungslos mit Worten verhöhnen, die aus dem Mund eines weißen Boxers rassistisch geklungen hätten:
    Joe Frazier, der Gorilla,
    geht in die Knie in Manila!
    Noch schlimmer (oder fragwürdiger): «Frazier ist der einzige Nigger auf Erden, der kein Rhythmusgefühl hat.» Auch Frazier wurde von Ali zum «Schwarzen des

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