Über Boxen
«irgendwas im Auge»), später Kämpfe bestritt, die ihm praktisch Übermenschliches an körperlicher Kraft, seelischem Durchhaltevermögen, Intelligenz und Elan abverlangten: die langen, aufreibenden, harten Kämpfe gegen Joe Frazier (die Ali erst verlor, dann gewann, dann wieder gewann, in dieser Reihenfolge) und der berühmte Rope-a-dope -Kampf gegen den damaligen Champion George Foreman in Zaire 1974 , der Ali den Titel zurückbrachte. Niemals hat sich ein Boxer in der ausgefeilten, wohlüberlegten Ausübung seiner Kunst so sichtlich aufgeopfert wie Ali.
Es ist hilfreich, wenn man diese ausgedehnte Karriere in drei verschieden lange Phasen unterteilt: die erste von 1960 bis1967 , die Epoche von «Schwebe wie ein Schmetterling, stich wie eine Biene», in der Alis jugendliches Können seinen Höhepunkt erreichte; die zweite von 1971 bis1978 , Alis Rückkehr nach dreieinhalbjährigem Boxverbot; und die angeknackste dritte, eine Art herbstliches Nachspiel, das mit Alis verspätetem Rückzug im Alter von vierzig Jahren endete. F. Scott Fitzgeralds kryptischer Spruch «Das Leben in Amerika gibt dir keine zweite Chance» wird durch Ali scheinbar widerlegt; er war schon als junger Boxer umwerfend, doch in seiner zweiten Phase, als nicht mehr ganz junger Boxer, der sich im Ring auf überlegene Intelligenz und Cleverness verlassen musste sowie auf die unter Umständen gefährliche Fähigkeit, einen Schlag «wegzustecken», wurde er noch interessanter. Er setzte gegen seine unglücklichen Gegner dieselbe psychologische Kriegslist ein, die wir auch aus realen Kriegen kennen: Sie hat zum Ziel, dem Gegner den Kampfgeist zu nehmen, ehe man überhaupt seinen Körper berührt hat.
1960 bis 1967 . Vielleicht hätte in diesen frühen Kämpfen die Metapher für Cassius Clay/Muhammad Ali treffender heißen müssen: «Schwebe wie ein Schmetterling, stich wie eine Viper.» Bevor Mitte der Achtzigerjahre mit Mike Tyson ein noch jüngerer Boxer auf der Bildfläche erschien, hat kein junger Schwergewichtler seinen Sport dermaßen beeinflusst wie dieser Olympiasieger, der nach hundertacht Amateurkämpfen Profi wurde. Cassius Marcellus Clay, geboren am 17. Januar 1942 in Louisville, Kentucky, als Nachfahre eines Sklaven, aber behütet aufgewachsen in einer fürsorglichen Familie der schwarzen Mittelschicht, war als junger Mann anders als alle anderen Schwergewichtler in der Geschichte: von mächtigem, aber perfekt proportioniertem Körperbau, ein Nijinsky 10 mit todbringenden Fäusten und einem Auftreten innerhalb und außerhalb des Rings, das man durchaus als aufrührerisch bezeichnen kann. Instinktiv wusste Clay, dass Boxen unterhaltsam und dramatisch ist oder sein sollte. Von dem affektierten Wrestler Gorgeous George hatte er gelernt, dass die Leute, die Eintrittskarten kaufen, nicht nur Sieger sehen wollen, sondern auch Verlierer. Wer die Aufmerksamkeit auf sich zieht, indem er sich wie ein Hanswurst benimmt, lenkt die Aufmerksamkeit auch auf den Kampf selbst und beeinflusst damit die Einnahmen der Abendkasse. Die anfängliche Verachtung der Experten für das «Großmaul» ist angesichts traditionell zurückhaltender Champions wie Joe Louis verständlich; ein Boxer sollte mit den Fäusten sprechen, nicht mit dem Mund. Doch Cassius Clay in seinem jugendlichen Überschwang wollte von alledem nichts wissen und nahm gleich noch die Lässigkeit des schwarzen Rap vorweg.
Hier kommt das Märchen von Cassius Clay,
Dem schönsten Boxer der ganzen Welt.
Er quasselt andauernd und gerbt dir das Fell,
Sein Schlag ist gewaltig und unglaublich schnell.
Die Faustkampfwelt war doof und öd,
Mit Liston als Champ war alles nur blöd.
Dann kam eine farbige Superrakete,
Und die Boxfans kamen gerannt mit der Knete.
Auf den jungen Boxer sind wir erpicht,
Der wird mal der Champion im Schwergewicht. 11
Und dergleichen mehr.
Natürlich wurden die arrogante Geschwätzigkeit des jungen Boxers und seine Mätzchen vor dem Kampf durch seine Disziplin und Gewandtheit im Ring mehr als wettgemacht. Von Anfang an zog Clay das Interesse der Medien nicht nur wegen seines Auftretens auf sich, sondern auch wegen seiner Siege. Was aber war an Clay in den Sechzigerjahren so einzigartig? Selbst nach den Siegen über hochgeachtete Veteranen wie Archie Moore und Henry Cooper (dem er 1963 bei einem Kampf in England eine brutal blutige Nase verpasste) erregte Clays exzentrisches Benehmen bei den Kommentatoren Misstrauen und manchmal sogar Schrecken. A . J. Liebling
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