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Über Boxen

Über Boxen

Titel: Über Boxen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Carol Oates
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bleiben. Der Champion … ist ein anderer Mensch, wenn er sich nicht vor der Menge produziert, vor den Anhängern, den Neugierigen, den Heldenverehrern, die eine bestimmte Atmosphäre erzeugen; wenn sie verschwunden sind, bleibt der Neger zurück wie eine Lampe, aus der man das Öl abgelassen hat. Johnson lebt vom Applaus. Ohne ihn verblasst er zu einem Nichts.
    Wie Muhammad Ali, der sich zwanghaft brüstete, «der Größte» und «der Schönste» zu sein, scheint Johnson der Inbegriff des männlichen Narzissmus gewesen zu sein. Wie Ali, der Mitte der Sechzigerjahre den Kriegsdienst in Vietnam verweigerte – «Mann, ich hab kein Problem mit diesen Vietcong», lautete Alis spontane brillante Begründung –, zog sich Jack Johnson den Zorn der meisten Mitbürger zu, als er 1911 in einem Interview in London erklärte: «Für Amerika kämpfen? Ach, ich würde sagen: lieber nicht. Was hat Amerika jemals für mich oder meine Rasse getan? In England werde ich wie ein menschliches Wesen behandelt.» Beide Männer wurden von rechtschaffenen weißen Staatsanwälten gejagt und zu Geld- und Gefängnisstrafen verurteilt. (Alis Urteil wurde 1971 vom Obersten Gerichtshof aufgehoben; Johnson hat seine volle Gefängnisstrafe abgesessen.) Doch die Parallelen zwischen Ali und Johnson enden bei ihrer jeweiligen Einstellung zu ihrem Beruf, denn Ali war in seinen besten Jahren ein fanatisch disziplinierter, hingebungsvoller Boxer, angesichts dessen Leistungen im Ring sein Bild in der Öffentlichkeit unwichtig erschien, während Johnson sich letztlich offenbar nicht viel aus dem Boxen machte und es nur als Mittel und Weg zu Ruhm und Geld ansah. Noch als Schwergewichtschampion war Johnson berüchtigt für seinen Hang zu einseitigen «Absprachen» – im Gegensatz zu manipulierten Kämpfen. (Die verlockendste Absprache bietet dem jeweils besseren Boxer an, seinen Gegner soundso viele Runden lang hinzuhalten, bevor er ihn ausknockt, zum Wohle der Zocker beziehungsweise der Filmer, die zu Johnsons Zeiten für mehr Filmmeter auch mehr zahlten.) Kaum hatte Johnson ein Mindestmaß an Erfolg erlangt, hörte er auf, für bevorstehende Kämpfe ernsthaft zu trainieren, und leider gelang es ihm auch, schwarzen Herausforderern aus dem Weg zu gehen, so wie es dem lange amtierenden Champion Tommy Burns gelungen war, Jack Johnson aus dem Weg zu gehen, als dieser der Herausforderer gewesen war.
    Geoffrey Ward hat «Unforgivable Blackness» in zwei Bücher ähnlichen Umfangs unterteilt: «Aufstieg» und «Fall». Ironischerweise setzt Johnsons «Fall» unmittelbar nach seinem größten Sieg ein, dem über Jeffries; offenbar war es unvermeidlich, dass eine dermaßen getriebene Natur, die Selbstdarstellung wie ein Narkotikum brauchte, fast sofort nach ihrem größten Erfolg begann, sich selbst zerstören. Ward legt für die Zeit nach 1910 einen deprimierenden Katalog zunehmend pathologischer Verhaltensweisen vor: exzessives Trinken, Depressionen mit Suizidgefahr, Spielsucht, ständige Frauengeschichten, Gewalt gegen seine Ehefrau Etta, Prozesse, Feindschaften, breitgetretene Skandale. Nur zwei Wochen nach Ettas von der Presse ausgeschlachtetem Selbstmord zeigte sich Johnson in Chicago mit einer sehr attraktiven, sehr blonden Achtzehnjährigen – ein Verhalten, das etwa so explosiv war, wie wenn man ein brennendes Zündholz an ein Benzinfass hält. (Johnson war vierunddreißig.) Wo immer er sich in den nächsten Jahren aufhielt, besonders aber im Brennpunkt Chicago, umloderte ihn sein schlechter Ruf; kein anderer Boxer außer dem glücklosen Mike Tyson unserer Tage wurde von der Presse so erbarmungslos dämonisiert. Johnson begriff zwar, dass das Boxen an sich nichts mit der Rasse zu tun hat, sondern nur mit den Leistungen von oft sehr eigenwilligen Individuen, wollte aber anscheinend nicht begreifen, dass die Presse, in der er eine Art Vergrößerungsspiegel sah, ihn ausnutzte und überstrapazierte.
    Irgendwie gelang es dem schwarzen Paria, der zunehmend von weißer und schwarzer Seite unter Beschuss stand, nicht ermordet, gelyncht oder auch nur von weißen Rassisten verletzt zu werden, aber dem giftigen Niederschlag seines schlechten Rufs entkam er nicht. 1913 taten sich seine Feinde buchstäblich zu einer Verschwörung zusammen und ersannen eine Anklage wegen angeblichen Verstoßes gegen den Mann Act von1910 , ein Gesetz, das es verbot, «Frauen zum Zwecke der Prostitution, ausschweifender Lebensweise oder anderer unsittlicher Handlungen von einem

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