Über das Haben
Gütern, sondern auch – ich zitiere Fromms Katalog – beim Lernen, Erinnern, Reden, Lesen, Wissen, Glauben und Lieben.[ 2 ]
*
Nachlese. Im Jahre 1989 ist unter dem Titel «Vom Haben zum Sein» ein weiteres Buch von Erich Fromm zu diesem Thema erschienen, das aus dem Nachlass zusammengestellt ist.[ 3 ] In ihm findet man vor allen Dingen diverse praktische Vorschläge zu den Wegen und Irrwegen derSelbsterfahrung (so wörtlich der Untertitel des Buches). Doch enthält dieser Nachlassband auch einige sehr lesenswerte Gedanken, mit denen der Schreiber vom Rigorismus seiner früheren Lehrmeinungen Abstand nimmt. Nun sollen nämlich doch, anders als vorher, zwei grundverschiedene Arten des HABENS anerkannt werden: ein «besitzorientiertes», das ungefähr dem bösen und früher verteufelten HABEN entspricht, und ein anderes und schon «seinsorientiertes» HABEN , das auf dem Weg zu einer «Kunst des seins» durchaus gute Dienste leisten kann. In dieser radikal revidierten Fassung seines Nachlasses hat Erich Fromm auch zur Kunst des HABENS einen Beitrag geleistet, dem zuzustimmen nicht schwer fällt.
ZWEITER ABSCHNITT
Treffpunkt Sprache
– 7 –
SEIN UND HABEN IM SATZ UND TEXT
Was in der Sprache einen vollständigen Satz ausmacht, ist eine Frage, die seit ältesten Zeiten die Gemüter bewegt hat. Schon die griechischen Grammatiker haben sich dabei um Antworten bemüht, denen auch die Logiker beipflichten konnten. Und so haben sie auch dem Philosophen Aristoteles zugestimmt, der in seiner «Poetik» (Kap. 20) für das Phänomen Satz eine Definition gefunden hat, die im Prinzip noch heute gilt. Ein Satz (griech.
logos
) ist demnach die Zusammenfügung eines Subjekts (
hypokeimenon
) und eines Prädikats (
kategoroumenon
). Auf diese Weise kommt eine Prädikation (Feststellung als «Fest-Stellung») zustande, zu der die einfache Wahrheitsfrage gestellt werden kann, die lautet: Ist diese Feststellung wahr (richtig) oder falsch (unrichtig)? Auch die Rhetoriker, die oft gleichzeitig Juristen waren, haben sich mit dieser Lehre einverstanden erklärt, da sie erlaubte, im Satz (vgl. lat.
sententia
) das abschließende Urteil (vgl. lat.
iudicium
) zu erkennen, durch das ein gerichtlicher Prozess zum Abschluss und zur Befriedung der beteiligten Parteien zu bringen war.[ 1 ]
*
Es gibt Sätze verschiedener Art. Sie unterscheiden sich voneinander gemäß den syntaktischen Mustern, nach denen sie gebaut sind. Diese wiederum sind von der Wertigkeit («Valenz») der Verben abhängig. Für unsere Fragestellung nach SEIN und HABEN sind nur zwei Satzbaumuster relevant: Sätze mit einem einwertigen Verb und Sätze mit einem zweiwertig-transitiven Verb.
Einwertige Verben haben im Satz nur eine Handlungsrolle (einen «Aktanten») bei sich, in der Regel das Subjekt (Person oder Sache), zum Beispiel: «Unsere Freunde [Subjekt] wohnen [Prädikat] in Dresden.»Prädikat ist in diesem Satz ein einwertiges Verb. Viele Verben, die wie in diesem Beispiel eine elementare Befindlichkeit ausdrücken, sind einwertig.
Unter den einwertigen Verben ist das Verb SEIN das Elementarverb schlechthin. Es dient im Satz für gewöhnlich als «Copula» (Verbindungsstück), das heißt, als bloßer Zubringer eines angeschlossenen Prädikaments, das im Einzelfall als Prädikats-Nomen, Prädikats-Adjektiv oder Prädikats-Adverb ausgestaltet sein kann, zum Beispiel: «Er|sie [Subjekt] IST [Prädikat] Journalist(in)/freischaffend/kenntnisreich/ständig unterwegs [Prädikamente]». Bei dem Elementarverb SEIN als Zubringer wird besonders deutlich, dass es für das Verständnis des Textes im Wesentlichen auf diese nominalen, adjektivischen oder adverbialen Prädikamente ankommt. Diese werden dem Subjekt zugesprochen oder zugeschrieben und bereichern dessen Bedeutung zum Vorteil seiner Erkennbarkeit.
Die Besonderheit einer SEINS -Prädikation liegt also darin, dass der Fortgang der Handlung, so wie ihn der Textfluss abbildet, für einen ultra-kurzen Moment angehalten und auf das Subjekt hin zurückgelenkt wird. Dadurch wird dieses mit einem Mehrwert an Semantik angereichert. Eben auf dieser Inversion beruht die spezifische Leistung, die das Verb SEIN befähigt, das Subjekt in seinen Merkmalen besser erkennbar zu machen. Wir können daher das Vermögen zur Herstellung und Feststellung von ERKENNBARKEIT (Identität) als die Grundbedeutung des Elementarverbs SEIN ansehen. Als weitere Elementarverben sind WERDEN und BLEIBEN mit je spezifischer
Weitere Kostenlose Bücher