Über das Haben
verfügen nicht über ein HABEN nach dem lateinischen Muster
habeo
, sondern folgen eher dem Muster
mihi est
.
Die Verständigung zwischen den Sprachen der Welt ist durch Unterschiede dieser Art nicht gefährdet, da alle bekannten Sprachen irgendwie eine Zugehörigkeit (Benveniste:
pertinence
) ausdrücken können:
Was gehört zu wem?
Es bestätigt sich also, dass «Zugehörigkeit» (Pertinenz) überhaupt der richtige Name für die aristotelische Kategorie HABEN ist. So verstanden, kann HABEN ohne weiteres eine universale Kategorie des Denkens bleiben, auch wenn es mittels verschiedener Wörter und Wortarten ausgedrückt wird.
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MODALITÄTEN DES HABENS
Seiner lexikalischen Bedeutung nach haftet dem Wort HABEN – wenigstens auf den ersten Blick – eine gewisse Ruhe und Statik an. Bei den Sprachhistorikern gilt HABEN daher nicht als Tätigkeitswort im strengen Sinne des Wortes, sondern als «Zustandsverb» (Benveniste:
verbe d’état
). Dazu passt, dass in der deutschen Sprachgeschichte haben etymologisch mit HALTEN («festhalten» – vgl. auch «nachhaltig») und mit HEBEN («aufheben» – vgl. auch «erheblich») verwandt ist. Möglicherweise ist HABEN überhaupt eine «durative» Weiterbildung zu dem Verb HEBEN , so dass ihm die «Dauer» schon in die Bedeutung eingeschrieben ist. Und so fügt sich auch die von dem Verb HABEN abgeleitete BEHÄBIGKEIT (bei Goethe noch in der ursprünglichen Bedeutung von «Wohlhabenheit») recht gut in ein ziemlich geruhsames Bedeutungsbild.
Dass es also beim HABEN «immer mit der Ruhe» zugehen soll, wird auch vom Volksmund gerne bestätigt. Es heißt ja bekanntlich: «Gut Ding will Weile HABEN ». Beliebt ist daher auch der ruhige Mann, von dem der Volksmund sagt: «Er HAT die Ruhe weg». Schließlich ist auch Biedermanns liebster Wahlspruch nicht zu vergessen, der lautet: «Ich will meine Ruh HABEN !» Insgesamt scheint sich also das HABEN mit der Ruhe weit besser zu vertragen als mit der Unruhe, ob diese nun aus dem Innern kommt oder von außen.
Doch ist diese weithin beliebte Allianz zwischen HABEN und HALTEN einerseits, Ruhe und Frieden andererseits keineswegs ein deutscher Sonderweg. Viele andere Sprachen bezeugen ebenfalls diese Affinität. So hat schon das Lateinische von dem Verb
habere,
das zwar (ungefähr) «haben» bedeutet, aber etymologisch nicht mit dem deutschen Wort HABEN verwandt ist, das Nomen
habitus
abgeleitet (vgl. Kap. 5). Es bezeichnet in seinem Bedeutungskern ein «habituelles» Verhalten. Dementsprechend gibt das lateinische Nomen
habitus
mitseiner europäischen Nachkommenschaft vielfach die Bezeichnung für eine «Gewohnheit» ab, etwa englisch
habit
, französisch
habitude
und italienisch
abitudine
. Dass diese Gewohnheit mit dem «Wohnen» zusammenhängt, bezeugen weiterhin französisch
habiter
(«wohnen») und spanisch
habitación
(«Zimmer»). So gelangt man mit diesen mehrsprachlichen Indizien für «wohnen» schnell wieder in die Nähe der «gewohnten» und «gewöhnlichen» Ruhe, in die jedoch glücklicherweise durch Immanuel Kant eine wunderbare Dynamik, Bewegung und Unruhe gekommen ist, als er mit seinem «Wahlspruch der Aufklärung» dem aufgeklärten Menschen als
regula maxima
empfohlen hat: « HABE Mut, dich deines
eigenen
Verstandes zu bedienen!» Von dieser Bewegung des Verstandes ist alle Unruhe ableitbar, die durch die Aufklärung in die Welt gekommen ist und hoffentlich in ihr bleibt.[ 1 ]
*
Nun hat aber die Sprache auch schon selber dafür gesorgt, dass dem HABEN und seinen Habitus-Objekten eine «gehörige» Portion Unruhe beigemischt wird. Für diesen Zweck sind in der Sprache die Modalverben da, die den Zugang zum HABEN auf vielerlei Art beeinflussen und dabei allerhand Unruhe stiften. Die Energie, mit der das geschieht, stammt aus unterschiedlichen Antrieben, die psychischer, physiologischer oder physischer Natur sein können. Und da zudem die meisten Modalverben in ihren Texten sowohl affirmativ als auch negiert auftreten können, ist auch für Konflikte zwischen den Antrieben und deren Hemmungen reichlich gesorgt.
Die deutsche Sprache begnügt sich mit einer kleinen Zahl von Modalverben, deren finite Formen im Hauptsatz zusammen mit dem Infinitiv HABEN das jeweilige Habitus-Objekt umklammern (in der folgenden Übersicht durch einen Gedankenstrich vertreten, für den man beispielsweise als Objekt «eine Wohnung» einsetzen kann):
Alle diese modalen Ausdrücke können auch verneint werden. Es gibt sogar ein
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