Über das Haben
Zugehörigkeit selbst im kleinen Format der Alltagssprache nicht als Zumutung empfunden wird.
Der indirektive Konjunktiv (Konjunktiv I) dient hingegen, wenn er überhaupt gebraucht wird und dann so gut wie nur mit seiner dritten Person («er|sie HABE »), dem ausschließlichen Zweck, in einem Bericht oder einer Erzählung die Verantwortung für das Gesagte einer neutralen Auskunftsperson zuzuschieben, die etwa behauptet hat, «jeder Makler HABE die Pflicht, in jedem Einzelfall zu überprüfen, ob …». Das ist gleichfalls, wenn man so will, eine Form der Höflichkeit, und zwar der Wahrheit gegenüber.
Eine zweite Stufe der formalen Höflichkeit bedient sich der Modalpartikeln, wie sie in der deutschen Sprache besonders reichlich gebrauchtwerden. Sie sind ebenfalls immer dann sehr gebräuchlich, wenn die Zugehörigkeiten eines HABEN -Satzes gedämpft oder abgefedert werden sollen.[ 3 ] Beispiele:
HABEN Sie
wohl vielleicht mal
ein Metermaß oder einen Zollstock zur Hand?
Ich HÄTTE
ganz gerne mal
einen kurzen Blick auf die Rechnungen für die Nebenkosten geworfen.
HABEN Sie sich
eigentlich schon mal
aus der Sicht Ihrer Mieter überlegt, ob…?
Die in diese Beispielsätze eingestreuten Modalpartikeln, die bisweilen unzutreffend Füll- oder Flickwörter genannt werden, treten besonders gerne in gesprochenen Dialogen und dann auch noch gehäuft auf, wobei ihre «richtige» Reihenfolge schwer in Regeln zu fassen, aber keineswegs ins Belieben gestellt ist. Es gibt ihrer in der deutschen Sprache etwa dreißig Formen mit unterschiedlichen Bedeutungen und Nuancen. Man lernt sie am besten aus der Praxis kennen. In der schriftsprachlichen Prosa sollten sie nur in sparsamer Dosierung gebraucht werden. Es gibt ja auch noch andere Techniken der stilistischen Dämmung und Dämpfung, durch die sie ersetzt werden können.
Als dritte Stufe der formalen Höflichkeit stellt die deutsche Sprache den HABEN -Sätzen ihr Repertoire an Modalverben zur Verfügung. Diese treten im Dienste der Höflichkeit meistens als Konjunktivformen auf. Es kommen hier vor allem die Formen der Paradigmen KÖNNTE, DÜRFTE und MÖCHTE in Frage, oft in Verbindung mit Negationen. Dabei entsteht jeweils ein zweiteiliges Verb mit dem Modalverb als Vorverb und HABEN als Nachverb. Beispiele:
Könnten
wir nicht vielleicht bis zum Wochenende schon eine Antwort HABEN ?
Dürfte
ich wohl einmal für ein paar Minuten den Kellerschlüssel HABEN ?
Ich
möchte
doch endlich mal ein etwas günstigeres Angebot HABEN .
Nun soll aber mit dieser kleinen Übersicht über die wichtigsten Strategien der Höflichkeit in Verbindung mit HABEN keinesfalls der Eindruck erweckt werden, als ob es eine unverbrüchliche Sprachnorm gäbe, die dazu verpflichten könnte, sich immer und überall nur höflich auszudrücken. Alles hat bekanntlich seine Zeit, auch die Höflichkeit und Unhöflichkeit im Umgang mit Menschen. Und alle diese Redekünste, ob nun freundlich oder unfreundlich gemeint, können natürlich immer auch übertrieben und damit in ihr Gegenteil verkehrt werden. Dann hilft nur noch der freundschaftliche Rat: « HAB dich nur nicht so!»
– 14 –
HABEN UND NICHT-HABEN IM TABU-TEST
In diesem Kapitel werde ich eine Reihe von Redensarten der deutschen Sprache zitieren. Haben sie das verdient? Sie sind ja, weit entfernt von jeder Maßarbeit, die
Prêt-à-porter
des sprachlichen Ausdrucks. So passen sie zwar auf vieles, aber auf nichts ganz genau[ 1 ].
Eben darum sind sie jedoch in manchen Situationen willkommen, wenn man gar nicht besonders genau sein will. Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn ein Sachverhalt, aus welchen Gründen auch immer, irgendwie heikel ist. Dabei gibt es viele Nuancen und Abstufungen. Im Grenzfall können heikle Themen, die sich gleichwohl nicht umgehen lassen, mit einem Tabu belegt werden. Tabu, das ist ein Begriff, der aus der Völkerkunde stammt und in deren Kontext auf heikle Themen in magischen Zusammenhängen angewandt wird. Doch hat seit langem auch der alltägliche Sprachgebrauch den Begriff adoptiert. In dieser gelockerten Bedeutung werden wir hier auch bestimmte Bereiche der Sprache und der damit zum Ausdruck gebrachten Wirklichkeit als Tabu-Zonen bezeichnen. Sie scheinen eine besondere Anziehungskraft auf HABEN -Sätze auszuüben und sind primär in deren Randbereichen zu finden.
Als erstes Beispiel für ein solches Alltags-Tabu soll eine Redensart dienen, die erst in jüngerer Zeit in der deutschen Sprache aufgetreten ist: «Wenn
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