Über das Haben
haben, das Bewusstsein teilen, dass nur noch der gemeinsame Liebestod auf sie wartet. «So HABEN wir die gleichen Gedanken GEHABT !» Ein kleines Schiff, mit Heu beladen, findet sich leicht erreichbar am Ufer des Flusses, als «ein Bett, wie noch keine Braut GEHABT ». Doch bevor sie nach dieser Hochzeitsnacht eng vereint ins Wasser gleiten, wenden sie ihre letzten Gedanken noch an das unerlaubt in BESITZ genommene Totenschiff, das ohne Steuerung flussabwärts treibt. Das wird aber kein großer Schaden für die Besitzer sein, denn «sie werden ihr EIGENTUM unten wieder finden».
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SOLL UND HABEN IN PREUSSEN – MIT GUSTAV FREYTAG
In der Breslauer Warenhandlung T. O. Schröter, in deren Geschäftsräumen der Schriftsteller Gustav Freytag (1816–1895) viele Szenen seines Romans «Soll und HABEN » (1855) angesiedelt hat, wird im Kontor des Prinzipals Traugott Schröter die doppelte Buchführung akkurat nach dem Prinzip «Soll und HABEN » praktiziert. Was in den mehr als 25 Geschäftsjahren der Firma in die linke und was in die rechte Spalte dieser Bücher eingetragen wird, das füllt mit vielen geschäftskundig erzählten Begebenheiten die mehr als 800 Seiten dieses über lange Zeiträume beim deutschen Lesepublikum höchst beliebten und erfolgreichen Bildungsromans.[ 1 ]
Ein Bildungsroman ist Gustav Freytags Romanwerk «Soll und HABEN » insofern, als schon auf den ersten Seiten zwei junge Leute eingeführt werden, die ein grundverschiedenes, ja gegenläufiges Leben im damaligen preußisch-polnischen Grenzland Schlesien vor sich haben. Da ist auf der einen Seite der arme, aber kreuzbrave Anton Wohlfahrt, der als Lehrling in die Firma T. O. Schröter eintritt und sich in ihr durch Fleiß und Redlichkeit bis zum Kompagnon des Prinzipals hocharbeitet. Er wird im Roman mehrfach als «unser Held» oder «unser Anton» apostrophiert und auf diese Weise für die Lektüre als Leitfigur und Sympathieträger ausgewiesen. Sein jüdischer Gegenspieler ist der gleichaltrige, ebenfalls zunächst bitterarme, aber schlaue und von Natur aus geschäftstüchtige Veitel Itzig, den der Autor durch viele seiner Eigenschaften eher für die Antipathie des Lesers präpariert.
Schon am scharf ausgeprägten Kontrast dieser beiden Charaktere wird deutlich, wie Gustav Freytag in seinem Roman mit dem Soll und dem HABEN verfahren will. Anton Wohlfahrt verkörpert solche deutsch-bürgerlichen Tugenden wie Ordnungsliebe, Fleiß und Zuverlässigkeitund ist der nette Kerl schlechthin. Arm und bescheiden, will er sich nicht einmal einen neuen Anzug auf Pump leisten («Ich habe kein Geld»). Auch ist er immer mit sich im Reinen und zweifelt nie, wohin er gehört («Er HATTE jetzt eine Heimat»). Für ihn steht ganz außer Frage, dass er durch seinen kaufmännischen Beruf fest auf der Seite, wenn nicht der WOHLHABENDEN , so doch der HABENDEN steht.
Sein gewitzter Gegenspieler Veitel Itzig sieht das HABEN nicht so gottgegeben an wie Anton Wohlfahrt. Und so phantasiert er schon als junger Mann über die Kunst, mit Hilfe des Geldes das HABEN in Bewegung zu setzen, eventuell auch an den Regeln der bürgerlichen Moral vorbei. Sein Rezept ist einfach: «Es ist doch zu machen, dass man kauft von jedem Menschen, was er HAT .» Und das kann am Ende mit Geschick und etwas Gerissenheit auch ein Rittergut sein: «Wenn du willst HABEN das Gut von diesem Baron, ich will dir’s kaufen.» In seinem Denken existiert das HABEN nur als ein transitorischer Moment zwischen Zufluss und Abfluss des Geldes.
Die skizzierte Anlage des Romans, ausgehend von den Kontrastpersonen Anton Wohlfahrt und Veitel Itzig, darf jedoch nicht übersehen lassen, dass der Kampf um das HABEN mit vollem Einsatz eigentlich auf einer anderen Ebene geführt wird. Zwei weitere Romanpersonen, der schlesische Großgrundbesitzer Freiherr von Rothsattel, der sein Geschlecht bis auf die Kreuzzüge zurückführen kann, und der neureiche Geldhändler Hirsch Ehrenthal, der aus Galizien zugewandert ist, interagieren in einem zähen und fast lebenslangen Ringen um die erfolgreichste Form des Wirtschaftens. An ihnen will der Autor prototypisch darstellen, welche Art des HABENS in dieser Zeit des gesellschaftlichen Wandels die Oberhand behalten wird: das ALT-HABEN des Freiherrn mit seinem festen Sitz auf schlesischem Grund und Boden oder das NEU-HABEN des Spekulanten, der sein Geschäft von einer krummen Seitengasse der großen Stadt aus betreibt. Durch seine Schläue und Geschicklichkeit ist
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