Über das Haben
andern zuvorzutun.» Tatsächlich aber treiben sie sich gegenseitig in den Ruin. Beide Bauern müssen Haus und Hof verlassen und verlieren somit ihren ganzen unbeweglichen Besitz. So weit der erste Akt mit derExposition des Dramas (im Sinne von Theodor Storm: Die Novelle ist die Schwester des Dramas).[ 3 ]
Im zweiten Akt kommt eine ganz andere Art des HABENS ins dramatische Geschehen. Denn es kann nicht ausbleiben, dass in den Hass und Streit ihrer Väter auch die heranwachsenden Kinder hineingerissen werden. Gerade sie aber – Romeo und Julia auf dem Dorfe – entdecken, dass sie einander « RECHT LIEB HABEN ». Und Vrenchen spricht das auch so aus: «Dies ist also eine ausgemachte Sache, dass jedes von uns einen Schatz HAT ». Selbst die erbitterte Feindschaft der Väter kann die beiden jungen Leute auf Dauer nicht daran hindern, sich heimlich zu treffen. Doch als der Vater Marti sie eines Tages ausspäht und Sali tätlich bedroht, weiß der Bursche sich nicht anders zu helfen, als mit einem Stein nach ihm zu schlagen. Der Vater bricht zusammen und erlangt sein Bewusstsein nicht wieder. In einem Asyl vegetiert er fortan vor sich hin. Bald wird auch sein ganzer beweglicher Besitz, in der Sprache der Novelle seine FAHRHABE , verschleudert, und seine Tochter Vrenchen muss mit einem Beutel für ihr HABSELIGES davonziehen. Auch Sali befindet sich in einer ähnlich verzweifelten Lage. Seine Eltern betreiben jetzt eine übel beleumundete Schenke und halten sich nur noch als Hehler einer Diebesbande über Wasser. Doch der Bursche bleibt in Gegenwart der geliebten Schicksalsgefährtin hoffnungsvoll: «Wer dich HAT , der muss meinen, er SEI im Himmelreich».
Am Ende des zweiten Aktes ist der dramatische Scheitelpunkt mit dem Glückswechsel (der «Peripetie») der Novellenhandlung erreicht. Spätestens jetzt kann der Leser wissen, dass die Novelle nicht gut enden kann. Ein warnendes Beispiel steht hier den beiden Liebesleuten vor Augen in Gestalt des «Schwarzen Geigers», der heimatlos über Land zieht und sich mühsam von seiner Musikantenkunst ernährt. Nach einer Andeutung der Erzählung ist ausgerechnet er vielleicht der rechtmäßige Eigentümer des strittigen Ackerstreifens, doch verfügt der Heimatlose über keinen Besitztitel, um seine Ansprüche amtlich zu beweisen. So bleibt er, weil besitzlos, auch heimatlos und ehrlos, und sein Name wird in die Bürgerliste keiner Schweizer Gemeinde eingetragen. Ein «ordentliches» Leben kann er nicht mehr führen.
Ebendies ist der tiefe Wunsch der Liebenden im dritten Akt dieser Geschichte. Sie würden so gerne «sittsam und arbeitsam» leben undsich dabei einfach GERN HABEN als ein «wohlgefälliges ehrsames Pärchen». Warum nur, fragt Vrenchen ihren Gefährten, «sollen wir uns nicht HABEN und glücklich SEIN ?» Doch dazu müssten sie einander, wie sie wohl wissen, «von Rechts wegen angehören», und das ist ihnen verwehrt, da sie nun Obdachlose SIND und wie die Schnecken ihre ganze Wohnung mit sich tragen. «Andere HABEN wir nicht». Auch der Erzähler bekräftigt in einer längeren Einrede das deutliche Bewusstsein seiner beiden Protagonisten, «in der bürgerlichen Welt nur in einer ganz ehrlichen und gewissenfreien [das heißt, von Gewissensbissen freien] Ehe glücklich sein zu können», und das bedeutet – im wörtlichen und übertragenen Sinne – «auf einem guten Grund und Boden» zu leben.
Der vierte Akt deutet, wie in vielen echten Dramen üblich, den illusionären Schein eines glücklichen Ausgangs an. Der Schwarze Geiger hält von der Höhe des Steinhaufens herab eine bitter-tröstende Rede an die Kinder der Unglücksbauern: «Da steht ihr nun und HÄTTET euch GERN ». Was kann er ihnen noch raten? «Lasst fahren die Welt!» Das würde für sie allerdings bedeuten, auf alle Ehre und gute Sitte zu verzichten und ohne Trauschein und ohne den Segen des Pfarrers in wilder Ehe zu leben: «Dann SEID ihr alle Sorgen los und HABT euch für immer und ewiglich».
Für eine kurze Zeit glücklicher Unbesonnenheit lassen sich Sali und Vrenchen von den lockenden Worten des Geigers einfangen und schließen sich einem Zug lustiger Gesellen an, die eine groteske Trauungszeremonie für sie inszenieren. Doch hält dieser Trost nicht lange vor, und die Handlung nimmt ohne weitere retardierende Momente ihren Gang auf das tragische Ende zu.
Es zeigt sich im fünften und letzten Akt, dass beide Liebesleute schon seit längerem, nachdem sie ihre «letzte HABE » aufgezehrt
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