Über das Haben
eigentlich dieser modern denkende Jude in seiner Geschäftswelt für die Rolle des Gewinners wie geschaffen, doch treten im Fortgang des Romangeschehens einige unvorhergesehene Umstände auf, die das Spiel schließlich für beide Kontrahenten als ein
no-win game
ausgehen lassen.
Aus welchen Gründen sich der wohlhabende Freiherr (oder Baron)von Rothsattel überhaupt um Geldsachen kümmern, geschweige denn sorgen muss, ist anfangs unklar. Als «Musterbild eines adligen Rittergutsbesitzers» (so der Erzähler) HAT er ja seinen Landbesitz, HAT er sein Herrenhaus, HAT er eine schöne Frau und zwei gesunde Kinder, so dass Hirsch Ehrenthal ihn scheinbar verwundert fragen kann: «Was HABEN Sie NÖTIG , Geld zu verdienen?» Sollte das aber gleichwohl der Fall sein, so weiß der Geldhändler, wie man die beiden Mächte Geld und Zeit zusammenbringen und wie man mit ihnen erfolgreich wirtschaften kann, «wenn man bar Geld oder Pfandbriefe HAT zu rechter Zeit». Also, Herr Baron, «so steht Ihnen Kapital zu Gebot, so viel Sie HABEN wollen».
Braucht nun der Rittergutsbesitzer überhaupt Kapital, das heißt, disponibles Geld? Sein Herrenhaus steht doch fest gegründet auf reichlich bemessenem Grund und Boden. Ein Mann des Landadels, wie er es von Geburt IST , könnte sich also auf die Stabilität des Raumes verlassen und vom Wirtschaftsfaktor Zeit unbesorgt absehen. Doch hat die Zeit ihre Tücken. Für den Freiherrn macht sie sich zunächst in der Weise bemerkbar, dass er darüber nachdenkt, wie er sein Rittergut beim Übergang zur nachfolgenden Generation verlässlich absichern kann. Und in dieser Hinsicht zeigt sich an ihm alsbald: «Er HAT seine Schwächen.» Denn der Sohn Eugen hat es zwar zum schneidigen Husarenoffizier gebracht, im Kasino jedoch verfällt er der Spielsucht und macht hohe Schulden. Auch die Tochter Lenore gibt zu einiger Besorgnis Anlass, so dass die Baronin erkennen muss: «Ich fürchte, sie ist in Gefahr, ein Original zu werden». Für solche Abweichungen von der Norm ist in dem Weltbild dieser grundadeligen Familie kein Platz vorgesehen.
Und so tritt der Freiherr mutig in ernsthafte Überlegungen ein, wie er sein so stabil erscheinendes Gut «für alle Zukunft» krisenfest machen kann. Bei diesen Geschäften lässt er sich von dem erfahrenen Geschäftsmann Hirsch Ehrenfeld beraten, nur dunkel ahnend, dass dieser Mann dabei auch seine eigenen Interessen im Auge haben könnte. Von ihm, den er sonst nur von oben herab zur Kenntnis nimmt («Es IST
nur
Ehrenthal»), lernt er in einem Schnellkurs, dass Reichtümer, die man nur LIEGEN HAT , so tot sind, «als ob sie nicht vorhanden wären in der Welt». Von solchen Ratschlägen beeindruckt, beschließt der Freiherr, auf dem Gelände seines Ritterguts eine Zuckerfabrik zu bauen und diese sogar selber zu betreiben.
Und dafür braucht er Geld, flüssiges Geld. So belastet nun der neue Fabrikant sein Gut mit allerhand Hypotheken und findet sich damit ab, dass er «einige tausend Taler Schulden auf seinem Gute HABEN wird». Es kommt, wie es bei einem unerfahrenen Mann seines Standes kommen muss. Er gerät in die Fristenfalle und muss bekennen, dass er zahlungsunfähig ist: «Ich HABE morgen zu zahlen zehntausend Taler». Er hat sich gröblich verspekuliert und ist von einem Tag auf den andern «ein ruinierter Mann». Von seinem Besitz ist das meiste, bis auf ein paar HABSELIGKEITEN , verloren. Und da der Freiherr bei seinen finanziellen Verpflichtungen auch sein Ehrenwort gebrochen hat, schießt er sich eine Kugel durch den Kopf. Der Selbstmord misslingt. Erblindet lebt er sein Leben zu Ende.
An dieser Stelle verlassen wir den unglücklichen Glücksritter und wenden uns seinem tüchtigeren Geschäftspartner Ehrenthal zu, der an den misslungenen Geschäften des Freiherrn nicht schlecht verdient hat. Kann sich also dieser tüchtige Geldhändler schon bald seiner guten Geschäftserfolge erfreuen, vielleicht sogar mit seiner Familie in das leerstehende Herrenhaus einziehen? So weit kommt es nicht. Denn der glückliche Geschäftsmann hat auch seine Schwachstellen. Da ist vor allem sein Sohn Bernhard. Dieser wird eingeführt als ein sympathischer Mensch «mit feinen Gesichtszügen und einem zarten Körper». Als Universalerbe und Nachfolger im Geschäft kommt er jedoch zur tiefen Enttäuschung des Vaters nicht in Betracht. Denn «er hat seinen eigenen Willen» und « HAT keine andere Freude als an seinen Büchern». Er will nicht Besitzbürger, sondern
Weitere Kostenlose Bücher