Über das Haben
Tage.
Als er die Insel, deren Gouverneur er gewesen war, nach ein paar Jahren noch einmal als Reisender besucht, ist es für ihn selbstverständlich, dass sie in sein persönliches Eigentum (
property
) übergegangen ist. So erlebt er seine Abenteuer im Rückblick als eine zwar etwas umständliche, jedoch seiner Überzeugung nach durchaus rechtmäßige kolonialistische Landnahme im Dienste der europäischen Zivilisation. Und so kann dieser Abenteuerroman seit Karl Marx auch kritisch gegengelesen werden als eine beunruhigende Lektion zur Geschichte des Kapitalismus und Kolonialismus.[ 4 ]
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MEPHISTOPHELES HAT SEINE FREUDE DRAN
Am Anfang von Goethes Faust-Drama muss man sich den Doktor Faust etwa sechzigjährig vorstellen. Er ist davon überzeugt, dass er das Beste von seinem Leben und Streben bereits hinter sich hat. Es ist Zeit, das Fazit zu ziehen[ 1 ]. Es fällt beklemmend aus:
HABE nun, ach, Philosophie,
Juristerei und Medizin
Und leider auch Theologie
Durchaus studiert mit heißem Bemühn …
Dieser Eingangsmonolog des an sich selber und an seiner Kunst verzweifelnden Wissenschaftlers wird geprägt durch das Tempus Perfekt mit markanter Spitzenstellung der Verbform HABE (als «Hilfsverb») und Endstellung des ihm zugeordneten Partizips «studiert», von dem es durch den Katalog der vier nutzlos studierten Wissenschaften getrennt ist. Es verwundert nicht, dass nach einer so fatalen Lebensbilanz nichts als Verzweiflung übrig bleibt.
Es kommt anders. Zuerst die Osterglocken, dann Mephistopheles und die Teufelswette, ein neues Leben. Unter den Verlockungen, die Mephistopheles seinem Adepten dienstwillig anbietet, erweist sich fürs erste am wirksamsten die Hexerei der Verjüngung um genau dreißig Jahre, die Zeit einer Generation. Aus dem mürrischen Professor wird ein junger Galan, der darauf brennt, seine Manneskraft zu beweisen.
Margarete tritt auf, Gretchen. Faust ist entflammt. Aber das tugendhafte Mädchen widersteht standhaft auch den dreistesten Annäherungen. Es scheint, dass Faust ohne eine wirksame Unterstützung seiner Werbung durch Mephistopheles sein Ziel nicht erreichen wird, wenigstens nicht so schnell, wie er es verlangt. Der Teufel aber winkt zum Schein ab: «Über die HAB ’ ich keine Gewalt». Der Galan möge es doch auf die übliche Art probieren, «wie ein Franzos».
Mephistopheles
Was hilft’s nur g’rade zu genießen?
Die Freud’ ist lange nicht so groß,
Als wenn ihr erst heraus, herum,
Durch allerlei Brimborium,
Das Püppchen geknetet und zugericht’t,
Wie’s lehret manche welsche Geschicht’.
Faust
HAB ’ Appetit auch ohne das.
Schließlich gibt Mephistopheles nach und kapituliert vor Fausts unbändiger und vor allem eiliger «Liebeslust»:
Mephistopheles
Will Euch noch heut’ in ihr Zimmer führen.
Faust
Und soll sie sehn? sie HABEN ?
Aber Geduld! Noch ist es nicht so weit. Die Jungfer hat eigene Gedanken im Kopf. Gegen Mephistopheles verspürt sie eine instinktive Abneigung, und auch bei Faust, den sie zwar liebt, kommen ihr einige Zweifel, vor allem, was seine Frömmigkeit betrifft. Und so stellt sie an Faust die Vertrauensfrage:
Margarete
Nun sag’, wie HAST du’s mit der Religion?
Faust
(
nach einigen Ausflüchten
)
Ich HABE keinen Namen
Dafür!
Margarete
Wenn man’s so hört, möcht’s leidlich scheinen,
Steht aber doch immer schief darum;
Denn du HAST kein Christentum.
Nach dieser kleinen Verzögerung in seinem Liebesstreben kommt Faust doch noch an sein Ziel. Die Liebesgeschichte endet als bürgerliches Trauerspiel. Für Margarete ist mit dem Unglück die Schande verbunden, dass sie zugleich mit der Jungfräulichkeit ihre Ehre verloren hat. So muss sie sich sogar von ihrem Bruder Valentin, der als Soldat ehrbewusst seinen Dienst tut, in aller Öffentlichkeit beschimpfen lassen:
Valentin
Und wenn dich erst ein Dutzend HAT ,
So HAT dich auch die ganze Stadt.
Im Zorn seiner Schandrede fällt der Bruder noch einmal aus der Sprache des HABENS , mit der er über Ehre und Ehrlosigkeit befunden hatte, in die Sprache des SEINS zurück, in der er seine Verurteilung zusammenfasst:
Valentin
Du BIST doch nun einmal eine Hur’,
So SEI ’s auch eben recht.
Des Teufels Meinung dazu, beiseite gesprochen:
Mephistopheles
HAB ’ ich doch meine Freude dran!
*
Aber nun Goethe selber, wie hat er dieses bürgerliche Trauerspiel als Episode seines Faust-Dramas erfinden und schreiben können? Wem gehören hier seine menschlichen
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