Über das Haben
Bildungsbürger sein. Und so liest er am liebsten alte englische Autoren und übersetzt klassische Gedichte aus dem Persischen. Mit dem ehrbaren Kaufmann Anton Wohlfahrt ist er eng befreundet. Als der Sohn erfährt, in welche Notlage der Gutsherr durch das rabiate Geschäftsgebaren seines Vaters geraten ist, setzt er diesen unter Druck und droht ihm, er werde sich von allen Familienbanden lossagen, wenn er sich seines Vaters schämen müsste. Der Vater gibt schweren Herzens nach. Mit weniger Skrupeln führt nun der Prokurist Veitel Itzig seine Geschäfte zu Ende. An der hoffnungslosen Lage des Freiherrn ändert sich dadurch nichts. Sein Rittergut wird versteigert.
Zum Glück im Unglück für die Familie Rothsattel erklärt sich indieser fatalen Lage der nun schon recht geschäftstüchtige Kaufmann Anton Wohlfahrt bereit, aus der Firma T. O. Schröter auszusteigen und für den invaliden Freiherrn als Verwalter tätig zu werden. Es gelingt ihm auch in relativ kurzer Zeit, ein herrschaftliches Anwesen in Polen, das gerade «billig zu HABEN » ist, aus einer Konkursmasse aufzukaufen und mit «deutscher Tatkraft» wieder hochzubringen. Unter diesen Umständen verläuft die weitere Handlung im letzten Drittel des Romans in angestrengter Betriebsamkeit, unterbrochen nur von allerhand quasi kriegerischen Aktivitäten zur Verteidigung des preußischen Anwesens gegen polnische Aufständische. Der Leser soll sich am Ende die solide Zukunft vorstellen können, «welche das Gut jetzt HAT ».
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Was ist nun von einem Roman zu halten, dessen Handlung in eine so ambivalente Konstellation hineingestellt wird? Seit langem ist gegen den Autor der Vorwurf erhoben worden, er habe einen antisemitischen Roman geschrieben.[ 2 ] In der Tat kommen, wie wir gesehen haben, im Personal des Romans mehrere Juden vor, die zu satirischen Zwecken karikiert werden, besonders auffällig mittels der vom Autor mit Vorliebe praktizierten Namensatire. Nun ist durch verschiedene Schriften von Dietz Bering gut bekannt geworden, wie die jüdische Bevölkerung im 19. Jahrhundert von der preußischen und deutschen Verwaltung gezwungen wurde, zu ihren jüdischen Namen und Vaternamen noch deutsche Nachnamen anzunehmen, im Prinzip nach eigener Wahl.[ 3 ] Die Versuchung war groß, zu diesem Zweck «schöne» Namen zu wählen, ohne zu bedenken, dass Juden gerade durch diese Wunschnamen, mehr noch als vorher, gesellschaftlich auffällig wurden. So ist auch in diesem Roman der Wunschname «Ehrenthal» gerade deshalb auffällig und für Ironie und Satire anfällig, weil der adelig-bürgerliche Ehrenkodex Juden ausdrücklich vom Besitz der Ehre ausschloss. Auf andere, aber ähnlich wirkende Weise ist der Name Itzig auffällig, da er leicht als jüdischer Tarnname (für «Isaak») zu erkennen ist. Aber solche «sprechenden» Namen hat der Autor auch für manche anderen Romanpersonen ausgewählt, zum Beispiel für die Nichtjuden Anton «Wohlfahrt» wie auch für den Freiherrn von «Rothsattel»,der daher, als er in den Ruin geraten ist, sich als «Rotschwanz» beschimpfen lassen muss.
Solche und ähnliche Beobachtungen an den jüdischen und nichtjüdischen Personen des Romans stützen also kaum oder überhaupt nicht den vornehmlich aus der karikaturistischen Namengebung gegen Gustav Freytag abgeleiteten Verdacht, er habe sein Buch mit antisemitischen Intentionen geschrieben. Es konnte zur Entstehungszeit des Romans als legitimes literarisches Verfahren gelten, die Charaktere eines Romans oder Dramas mit kräftigen Strichen zu zeichnen und zu überzeichnen, so dass Theodor Fontane den Roman seines Kollegen, jedoch mit Vorbehalten, einen «humoristischen Roman» nennen konnte.[ 4 ]
Es ist jedoch nicht von der Hand zu weisen, dass der Autor gleichwohl mit diesem «Humor» bei einem Teil seiner Leserschaft auch deren antisemitische Vorurteile bedient hat und darüber selber erschrocken war. Jedenfalls hat er in seinem späteren Leben nach «Soll und Haben» viele Zeichen gesetzt, die an seiner politisch-moralischen Aufgeschlossenheit gegenüber seinen jüdischen Mitbürgern, einschließlich der «Ostjuden» und «Schacherjuden», keinen Zweifel lassen sollten. So hat er in einer scharfen Polemik gegen Richard Wagner, der nun wirklich ein Judenfeind war, deutlich Stellung bezogen für seine, so wörtlich, «jüdischen Mitbürger», von denen er schreibt: «Sie selbst HABEN jedes Recht, sich ihrer energischen Lebenskraft und Bildungsfreundlichkeit zu freuen.»
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Tief
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