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Über das Haben

Über das Haben

Titel: Über das Haben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Weinrich
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gegensätzlicher nicht sein könnten. Der eine von ihnen ist der jüdische Bankier Gundermann (beinahe: «guter Mann»), ein kühler Rechner und scharfsinniger Börsenstratege, in dessen Gestalt man den legendären Baron James de Rothschild (1792–1868) erkennen kann. Er wird von Zola mit ziemlich viel Wertschätzung beschrieben, denn er hat es zum Herrscher über die Pariser Börse gebracht. Es heißt von ihm, er habe an seinen bisherigen Börsengeschäften mindestens schon eine Milliarde verdient (
lui AVAIT dans ses caves un milliard
), jedoch nur mit dem Ziel, mit diesem Kapital an der Börse weiter gute Geschäfte zu machen. Doch für seine vielköpfige Familie lässt er es an keiner Sorge fehlen: ein Patriarch.
    Sein Gegenspieler ist der temperamentvolle und leidenschaftliche Südfranzose Saccard (wörtlich: der «Einsacker»), der mehr noch von seinem Spieltrieb als von der Habgier zu seinen Börsengeschäftenangestiftet wird. Mit seinen oft unbesonnenen Spekulationen hat er schon früher einmal (so beschrieben in einem anderen Roman von Zola) Schiffbruch erlitten. Nun sinnt er auf neue Abenteuer an der Börse. Und da er überdies ein eingefleischter Antisemit und Verächter der jüdischen »Rasse» ist (
race
steht im Text), hat er schon lange genug auf den ersehnten Zeitpunkt gewartet, um es mit dem Erzfeind Gundermann aufzunehmen.
    Im weiteren Romangeschehen geht es für beide Romanpersonen um alles oder nichts. Wer dabei am Ende der Sieger und wer der Verlierer ist, das entscheidet sich erst durch das schwer vorhersehbare Auf und Ab der Börsenkurse, also durch Hausse oder Baisse. Ist das nun ein gutes Romanmotiv? Man kann vielleicht daran zweifeln. Es geht ja eigentlich nur um die Frage, in welchen Proportionen bei der Börse Gewinne und Verluste zwischen den Positionen SOLL und HABEN hin und her geschoben werden, das allerdings in dramatischen und bisweilen abenteuerlichen Bewegungen. Emile Zola hat es jedoch in seinem Roman geschickt verstanden, dem Machtkampf der beiden Kontrahenten eine stark verfremdete, nämlich militaristisch-napoleonische Färbung zu geben, so dass sich sein Roman in seinem ganzen Sprachduktus wie eine Kriegsberichterstattung liest.
    Der Börsenkrieg kann also beginnen. Saccard ist der Draufgänger und Angreifer, Gundermann der vorsichtig taktierende Verteidiger. Und Saccard HAT in seiner Strategie die passende Eingebung GEHABT (
il EUT l’inspiration
), für seinen Börsengang eine eigene Bank zu gründen. Er spekuliert auf Hausse. Zufällig entwickelt sich nun die politische und wirtschaftliche Lage Europas so, dass die Kurse der neuen Bank gleich nach ihrer Gründung steil in die Höhe gehen. Saccard kann Gewinne in Millionenhöhe verbuchen.
    Ein Menetekel besonderer Art hätte ihn jedoch in dieser Situation auf die Grenzen des HABENS aufmerksam machen können. Dieses Warnzeichen geht von einer kleinen, hübschen Frau aus, Madame Conin, die in den Börsenkreisen dafür bekannt ist, dass sie es mit der Tugend nicht so genau nimmt. Da sollte es doch für einen Mann wie Saccard kein Problem sein, bei ihr sein privates Quantum Glück zu finden. Doch diese junge Frau hat ihren eigenen Kopf und lässt sich von Saccard nicht « HABEN », so sehr der reiche Mann auch mit seinemGeld auftrumpft. Saccard versteht die Welt nicht mehr: «Wieso das! Mit Geld war also nicht alles zu erreichen? Da war nun eine Frau, die andere für umsonst HATTEN [
que d’autres AVAIENT pour rien
] und die ein Mann wie er nicht HABEN konnte [
qu’il ne pouvait AVOIR , lui
], auch wenn er ihr einen Preis in schwindelnder Höhe bot!» Sie blieb bei ihrem Nein, «und das war’s dann».
    Die misslungene Affäre Conin soll nicht Saccards einzige Niederlage bleiben. Denn nun will er für seinen entscheidenden «Coup» gegen Gundermann alles auf eine Karte setzen und damit den endgültigen Triumph über den Widersacher erzielen. Unbeirrbar setzt er weiterhin auf Hausse, um endlich den verwegen anvisierten Kurs von dreitausend pro Aktie zu erzielen. «Den Kurs muss ich und werde ich HABEN !» (
il me le faut, je l’ AURAI
). Inzwischen hat aber auch Gundermann «seine Truppen in Stellung gebracht» und spekuliert seinerseits gegen Saccard auf Baisse. Der für einen bestimmten Börsentag kühl kalkulierte Krach stellt sich ein. Der Kurs für die Aktien der Saccard-Bank sinkt ins Bodenlose, und ihre Aktien werden zu Schleuderpreisen angeboten. Saccard, der von seinem Feldherrnhügel aus, an den Pfeiler der Börse

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