Über das Sterben
«Morphin-Perfusor». Das ist eine kleine Maschine, die eine Morphinlösung über einen intravenösen Zugang mit konstanter Geschwindigkeit ins Blut pumpt. Die dabei angewendete Standarddosierung beträgt 1 mg pro Stunde, wohl weil man sie sich leicht merken kann. Das ist für Patienten, die bislang noch kein Morphin oder ähnliche Medikamente bekommen haben, eine sehr hohe Dosis – etwa dreimal so hoch wie die Anfangsdosis Morphin, die man oral bei sehr starken Schmerzen verabreicht. Bei einer solchen Dosis sind die Patienten regelmäßig sediert, das heißt, sie schlafen sehr tief und sind nicht oder kaum erweckbar. Ob das auch ihr Wunsch ist, ob sie noch etwas erledigen wollen, ob behandelbare Ursachen für die gegebenenfalls vorhandene Unruhe vorliegen – all das wird nicht gefragt.
Ein Sterbender hat ruhig zu sein. Das beruhigt die Angehörigen, die Ärzte, die Pflegenden und das ganze Umfeld. Dass dabei erwiesenermaßen die Zeit, die von den Ärzten und Pflegenden im Krankenzimmer verbracht wird, dramatischabnimmt, muss man wohl als unvermeidliche Konsequenz betrachten. Dem Patienten geht es ja so weit «gut», und sprechen kann man mit ihm ohnehin nicht.
Es gibt tatsächlich Situationen am Lebensende, in denen eine palliative Sedierung notwendig ist (siehe Kapitel 4b), sie sind aber selten, und man verwendet dann andere Medikamente als Morphin. Daher ist dringend zu empfehlen, genau zu hinterfragen, weshalb bestimmte Medikamente am Lebensende verabreicht werden und welches Symptom dabei behandelt werden soll. Unnötige Sedierungen schränken den Lebensraum des Patienten in einer Zeit maximal ein, in der er besonders hilflos und schutzbedürftig ist, und sind daher zu vermeiden.
Morphin für Schmerzen: zu wenig oder zu viel?
Vor allem im ambulanten Bereich tritt immer wieder der umgekehrte Fehler bei der Behandlung starker Schmerzen auf: Hier machen die Ärzte um Morphin einen großen Bogen, obwohl es zu diesem Medikament die besten Daten gibt, auch und gerade in puncto Sicherheit. Wenn überhaupt, wird Morphin nur in homöopathischen Dosierungen verabreicht, denn: «Es könnte ja süchtig machen» oder gar: «Es könnte zu einer tödlichen Atemlähmung kommen.» Beides ist von der Palliativforschung längst widerlegt.
Die Kehrseite dieser Morphinphobie ist allerdings, dass die niedergelassenen Ärzte sehr gerne die von der Pharmaindustrie stark beworbenen Opioidpflaster verschreiben. Diese Pflaster enthalten Substanzen mit anders klingenden Namen, wie zum Beispiel Fentanyl, und haben als Pflaster die Aura des «Harmlosen». Das Ganze hat aber zwei Haken:
Erstens ist Fentanyl etwa 100-mal stärker wirksam als Morphin, und oft werden Anfangsdosierungen verschrieben, die 60 mg Morphin pro Tag und mehr entsprechen – mit der Folge, dass die Patienten stark sediert werden und fast nur noch schlafen (und gelegentlich andere unangenehme Symptome der Opioid-Überdosierung wie unwillkürliche Muskelzuckungen, sogenannte Myoklonien, zeigen).
Zweitens ist die Verabreichung von Medikamenten über die Haut mittels Pflaster zwar bequem, aber störanfällig (z.B. durch Fieber oder Schwitzen) und sehr unflexibel: Die über Pflaster verabreichten Opioide brauchen 12 bis 16 Stunden, bis die schmerzlindernde Wirkung voll erreicht ist, und auch wieder entsprechend lange, bis sie abklingt. Für rasch wechselnde Schmerzen, wie sie bei Schwerstkranken oft vorkommen, sind sie damit nicht geeignet.
Aus interessierten Kreisen wird immer wieder dahingehend argumentiert, dass in Deutschland der Morphinkonsum pro Kopf im Vergleich zum europäischen Ausland zu niedrig ausfalle, was als Indiz für eine schlechte Schmerztherapie zu werten sei, welche deshalb finanziell gefördert werden müsse. Geflissentlich verschwiegen wird dabei, dass dafür der Umsatz mit den erheblich teureren und größtenteils entbehrlichen synthetischen Opioiden aller Art in Deutschland zu den höchsten weltweit zählt. Würde man das dabei verschwendete Geld in eine gute ganzheitliche Palliativbetreuung investieren, wäre für die Patienten und ihre Familien viel gewonnen.
Falsche Behandlung der Atemnot
Wie schon in Kapitel 4b ausgeführt, wird Atemnot von Patienten und Angehörigen als schlimmer eingestuft als selbststärkste Schmerzen. Die durch Atemnot ausgelösten Angstzustände verstärken das subjektive Gefühl der Atemnot, was wiederum noch mehr Angst auslöst, und so weiter. Um den Teufelskreis «Atemnot – Angst – Atemnot» zu
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