Über das Sterben
Insbesondere die Vorstellung des Sterbens im Krankenhaus unter Einsatz der sogenannten «Apparatemedizin» ist der Mehrheit der Bevölkerung ein Gräuel. Wie schon erwähnt, sind nach meiner Erfahrung die einzigen Menschen, die bei der Frage nach ihrem gewünschten Sterbeort die Intensivstation angeben, bezeichnenderweise die Intensivmediziner selbst. Allerdings mit einer wichtigen Einschränkung: Sie sagen nämlich ausnahmslos: «Ich möchte auf
meiner
Intensivstation sterben», nicht auf irgendeiner anderen. Das hat dann vielleicht doch mehr mit dem Wunsch nach Kontrolle zu tun als mit der Behaglichkeit des Sterbeortes.
Der Wunsch nach Kontrolle über das eigene Lebensende, die Angst vor dem «Ausgeliefert-Sein» an eine als menschenfeindlich empfundene, einzig der (biologischen) Lebensverlängerung verschriebene Medizin ist eine der wichtigsten Triebfedern der gesamten Diskussion über die Entscheidungen am Lebensende. Zunehmend verlangen die Menschen nach Möglichkeiten, selbst zu bestimmen, welche medizinischen Maßnahmen am Ende ihres Lebens angewendet werden dürfen und welche nicht. Das Argument gegen den Einsatz von Patientenverfügungen lautet oft, dass sich gesunde Menschen gar nicht vorstellen können, wie es ihnen insolchen Situationen gehen wird, und dass Menschen in Krankheitssituationen ihre Entscheidung oft anders fällen, als sie zuvor vorausgesagt haben. Beides ist zwar richtig, trifft aber nicht den Kern des Problems: Patientenverfügungen werden ja für den Fall geschrieben, dass der Betroffene sich in der konkreten Situation nicht mehr selbst äußern kann. In einer solchen Situation gibt es nur die Wahl zwischen einer Anerkennung des vorausverfügten Willens (im Bewusstsein der damit verbundenen Einschränkungen) oder einer Fremdbestimmung durch Dritte. Letztere erscheint den allermeisten als das eindeutig größere Übel: In einer Untersuchung an über 400 Personen, die eine Patientenverfügung für sich verfasst hatten, stellten Ralf Jox und Mitarbeiter 2009 fest, dass zwei Drittel der Gesunden und sogar über drei Viertel der lebensbedrohlich Erkrankten eine strikte Befolgung ihrer Patientenverfügung durch die Ärzte verlangten. Im Falle der Nichtanwendbarkeit der Patientenverfügung wünschten fast 90 % die Entscheidung durch einen von ihnen bestimmten Bevollmächtigten; weniger als 10 % mochten die Entscheidung einem Arzt oder gar einem Richter überlassen.[ 1 ]
Die Angst vor Kontrollverlust am Lebensende ist auch einer der wichtigsten Gründe für die Befürwortung der Legalisierung der Tötung auf Verlangen bzw. des assistierten Suizids. Mit diesen Mitteln wird zwar eine absolute Kontrolle über den Todeszeitpunkt erreicht, aber unter Umständen um den Preis einer ungeahnt hohen Fremdbestimmung (siehe Kapitel 9). Eine weniger drastische und für die Bedürfnisse der meisten Menschen angemessenere Art, mit der Angst vor Kontrollverlust umzugehen, ist die Erstellung eines Vorsorgeplans.
Vorsorgeplanung
Ein Vorsorgeplan für das Lebensende umfasst mehrere Elemente, deren rechtliche Gültigkeit und praktische Wirksamkeit in den letzten Jahren zunehmend klarer wurde. Die wichtigsten Vorsorgeinstrumente sind die
Vorsorgevollmacht
und die
Patientenverfügung.
Die zusätzliche Erstellung einer Niederschrift über die eigenen
Wertvorstellungen
hat sich in der Praxis sehr bewährt, während die
Betreuungsverfügung
inzwischen eine geringere Bedeutung besitzt. Diese Vorsorgeinstrumente werden nachfolgend detailliert vorgestellt.
Instrumente der Vorsorge
Vorsorgevollmacht
Nach deutschem Recht benötigt jeder Mensch, der seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht mehr selbst erledigen kann, einen rechtlichen Vertreter (§ 1896 Abs. 1 BGB). Entgegen einer verbreiteten Fehlmeinung sind Angehörige, auch Ehegatten, in Deutschland
nicht
automatisch vertretungsberechtigt. In einer solchen Situation, wie sie zum Beispiel langsam durch eine Demenz oder plötzlich durch einen Schlaganfall oder eine andere schwere Erkrankung mit Beeinträchtigung der Gehirnfunktion entstehen kann, muss durch das Betreuungsgericht (früher: Vormundschaftsgericht) ein Betreuer bestellt werden – es sei denn, der Betroffene hat zuvor eine gültige Vorsorgevollmacht erteilt (§ 1896 Abs. 2 BGB).
Mit einer Vorsorgevollmacht kann also
im Voraus bestimmt werden, wer für uns entscheiden soll, wenn wir selbst nicht mehr dazu in der Lage sind
. Das ist ein unschätzbarer Vorteil, denn das Betreuungsgericht ist in
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