Über das Sterben
mit den Ärzten oder auch in Fragen der Therapie, der Unterbringung und der Betreuung, werden erst verschwiegen, dann offen ausgetragen. Die «Parteien» versuchen, den Kranken auf die eine oder andere Seite des Konflikts zu ziehen, was oft in der völligen Überforderung und einem daraus resultierenden stummen Rückzug des Patienten mündet. Es folgen dann häufig gegenseitige Vorwürfe, die sowohl die Sterbe- als auch die Trauerphase schwer belasten können.
Eine Patentlösung gibt es hier nicht. Die Betreuenden brauchen viel Geduld und viele Gespräche, gemeinsam und auch getrennt mit den einzelnen Betroffenen, um die Hintergründe der Kommunikationsschwierigkeiten zu verstehen. Diese liegen in der Regel in der gemeinsamen Biographie der Beteiligten und sind insofern nicht kurzfristig veränderbar. Aber allein die einfühlsame Thematisierung der Kommunikationsprobleme kann Wunder wirken. Daher sind geschulte Sozialarbeiter, Psychologen und Seelsorger in Palliativ- und Hospizeinrichtungen unverzichtbar.
Für Patienten und Familien kann es in solchen Situationen sehr hilfreich sein, wenn sie sich in ihrem Schmerznicht isolieren, wenn sie es wagen, sich ihrem sozialen Netz zuzumuten und es ihren Freunden und Verwandten zutrauen, mit Trauer und Schmerz fertig zu werden. Dann kann es manchmal gelingen, einen Schritt zurück zu gehen und die Situation gleichsam «aus der Vogelperspektive» zu betrachten, inklusive des eigenen Anteils am Problem. Außerdem kann es hilfreich sein, die hinter dem Kommunikationsproblem liegenden Grundbedürfnisse der anderen in den Blick zu nehmen (sozusagen für einen Moment lang in die Schuhe des anderen zu steigen). Dazu ist meistens die Hilfe Dritter wie Freunde oder Therapeuten notwendig. Und selbst dann ist alles viel leichter gesagt als getan, zumal in einer maximalen Stresssituation, in der es oft um das schiere psychologische Überleben geht. Aber schon der Versuch allein lohnt sich.
… zwischen den verschiedenen Berufsgruppen im Betreuungsteam
Nicht selten kommt es einem so vor, als ob die unterschiedlichen Berufsgruppen, die an der Betreuung eines Schwerstkranken beteiligt sind, vor allem im ambulanten Bereich, nicht in der Lage seien, ihre Tätigkeiten miteinander abzusprechen. Das Ergebnis ist bisweilen chaotisch: Anordnungen werden nicht richtig weitergegeben oder befolgt; der Kranke ist ungeplant lange Zeit allein, dann drängen sich wieder drei verschiedene wohlmeinende Menschen um das Bett. Die Angehörigen können überhaupt nichts mehr richtig planen und sind permanent dabei, «Löcher zu stopfen» und zu versuchen, so gut es geht, alle Beteiligten zu koordinieren. Das ist zwar nicht ihre Aufgabe, aber sie werden dadurch nicht selten so sehr in Anspruch genommen, dass sie ihre Rolle als Angehörigenicht mehr ausfüllen können, worunter sie selbst, der Kranke und das gesamte Betreuungssystem leiden (siehe Kapitel 4c).
Die Lösung: Die Koordination der Betreuung eines Schwerstkranken im häuslichen Bereich gehört in eine Hand, und zwar in die eines Profis. Die Leistungsbeschreibung der Spezialisierten Ambulanten Palliativversorgung (SAPV, siehe Kapitel 3) enthält daher auch die Koordination der Versorgung als eigenständige Leistung. Diese hat sich in der Praxis als außerordentlich hilfreich erwiesen und sollte von der Familie und dem Hausarzt aktiv eingefordert werden.
Therapiefehler[ 2 ]
«Verdursten» und «Ersticken» in der Sterbephase
Unter den Begründungen, die die Befürworter der Legalisierung der Tötung auf Verlangen in Meinungsumfragen anführen, findet sich mit am häufigsten die Angst vor qualvollen Symptomen in der Sterbephase. Stark verbreitet ist die Angst vor dem Verdursten (Sterben mit qualvollem Durstgefühl) und dem Ersticken (Sterben mit qualvoller Atemnot). Diese Ängste sind auch bei Ärzten und Pflegepersonal vorhanden und führen dazu, dass bei Sterbenden in Deutschland reflexartig zwei Maßnahmen durchgeführt werden, um diesen Symptomen vorzubeugen: Um ein Verdursten zu verhindern, bekommen Sterbende regelmäßig Flüssigkeit über intravenöse Zugänge zugeführt. Um einem Ersticken vorzubeugen, verabreicht man Sterbenden Sauerstoff über eine Nasenbrille. Das klingt erst einmal sehr menschenfreundlich und vernünftig, nur leider haben diese Maßnahmen zwei große Nachteile:
Erstens:
Sie bringen nichts. Flüssigkeitsgabe in der Sterbephase hilft nicht, das Durstgefühl zu verringern. Wie in Kapitel 6 geschildert, hängt das
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