Über das Sterben
sind durchaus nachvollziehbar. Auch hier ist seitens der Helfer nicht eine Konfrontation gefragt («Entweder Sie nehmen unsere [wunderbaren] Angebote [dankbar] an, oder wir ziehen uns [schmollend] zurück»),[ 8 ] sondern Verständnis und Dialog. Ziel ist vor allem, die echten Gründe fürdie Weigerung, Hilfe anzunehmen, zu verstehen und gegebenenfalls auch zu respektieren.
Für Angehörige und Patienten kann in solchen Situationen ein Gedanke des Philosophen Gernot Böhme hilfreich sein: Er spricht im Zusammenhang mit der Selbstbestimmungsdebatte vom Begriff der «Souveränität» als weitergehende Form der Selbstbestimmung.[ 9 ] Selbstbestimmung bedeutet, dass ich das Recht habe, jede mir angebotene Hilfe (medizinisch, psychosozial, spirituell) abzulehnen. Souveränität bedeutet darüber hinaus, dass ich mir im Bewusstsein dieser Ablehnungsmöglichkeit und unter Überwindung der eigenen inneren Widerstände helfen lassen kann und mich dabei sogar wohlfühlen darf.
Die eigenen Bedürfnisse verdrängen
Allzu leicht kann es passieren, dass man vor lauter Hilfsbereitschaft die eigenen Bedürfnisse vernachlässigt – das gilt für Patienten und Angehörige genauso wie für die professionell oder ehrenamtlich Betreuenden. Es betrifft natürlich alle Arten von Bedürfnissen – die spirituellen sogar ganz besonders, weil man sie nicht so unmittelbar wahrnimmt wie die physischen (z.B. Hunger) oder psychosozialen Bedürfnisse (z.B. Einsamkeit).
Es ist schon schwer genug, die Bedürfnisse der anderen wahrzunehmen, aber die eigenen? Darf man sie denn in einer solchen Situation überhaupt haben? Unbedingt, denn die Konsequenzen des Verdrängens der eigenen Bedürfnisse sind nicht zu unterschätzen: Burn-out, Depression und im schlimmsten Fall der Verlust des Lebenssinns können die Folge sein.
Aber muss man nicht als Helfer die eigenen Bedürfnisse unterordnen, als pflegender Angehöriger sie sogar «eine Zeit lang» auf Eis legen, um der eigenen Aufgabe gerecht zu werden? Nein, das sollte man auf keinen Fall tun, wenn man dieser Aufgabe wirklich gerecht werden will. Die Forschung im Bereich der Gesundheitsförderung und der positiven Psychologie hat wiederholt gezeigt, dass die Vernachlässigung der eigenen Bedürfnisse der beste Weg in die Unfähigkeit zu helfen ist.
Wir sollten also gut für uns sorgen, schlicht weil wir uns sonst bald nicht mehr um andere kümmern können
(im professionellen wie im privaten Bereich).
Auch Schwerstkranke haben nicht selten die Tendenz, ihre Bedürfnisse zurückzusetzen, meistens aus Angst, als Belastung empfunden zu werden. Dies wird nicht immer sofort augenfällig, und solche Patient(inn)en sind oft bei den Betreuungsteams sehr beliebt. Sie halten eine freundliche Fassade aufrecht, sind genügsam und dankbar, und keiner sieht die Verzweiflung, die dahintersteckt. Den Betroffenen kann nur geraten werden, mit ihren Bedürfnissen nicht hinterm Berg zu halten, auch um diejenigen nicht zu frustrieren, die ihnen wirklich helfen möchten (siehe vorigen Abschnitt). Alle anderen Beteiligten sollten immer wieder genau hinhören und hinschauen, um die versteckten Hinweise auf unterdrücktes Leiden wahrzunehmen, die sich vor allem in der Körpersprache mitteilen. Sich abends an das Bett des Kranken zu setzen und einfach eine ganze Zeit lang nichts zu sagen, kann erstaunliche Wirkungen zeigen.
8
Vorsorge für das Lebensende:
Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung
«Einsicht wächst mit dem Alter», das ist eine geläufige, in ihrer Allgemeinheit gleichwohl gewagte These. Im Falle der Patientenverfügung scheint sie allerdings durchaus ihre Berechtigung zu haben. Nach einer Umfrage der
Apotheken Umschau
aus dem Jahr 2009 (vor Inkrafttreten des neuen Gesetzes zur Patientenverfügung) gaben nur 6,9 Prozent der 20–29-Jährigen, aber fast 38 Prozent der über 70-Jährigen an, eine eigene Patientenverfügung verfasst zu haben (Abb. 8.1).
Abbildung 8.1: Anteil der Menschen mit eigener Patientenverfügung in unterschiedlichen Altersgruppen (Quelle: Repräsentative Umfrage der GfK-Marktforschung im Auftrag der Apotheken Umschau, 2009).
Die Tendenz ist hier eindeutig steigend. Das bedeutet, dass in der Altersstufe, in der sich mit Abstand die meisten Todesfälle ereignen, bald jeder zweite Bundesbürger eine Patientenverfügung besitzen wird – mit erheblichen Konsequenzen für die medizinische Praxis am Lebensende.
Der Wunsch nach Kontrolle
Die meisten Menschen möchten zu Hause sterben.
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