Über das Sterben
Berichterstattung diese Fälle bis zum assistierten Suizid in der Schweiz, um anschließend die nicht unberechtigte Frage zu stellen: Warum darf es so etwas bei uns nicht geben? Auf der anderen Seite stehen mehrere Gesetzesinitiativen zum Verbot der gewerbsmäßigen Suizidbeihilfe und die Warnung vor dem «ethischen Dammbruch»,die angesichts steigender Rationalisierungstendenzen im Gesundheitswesen ebenfalls sehr ernst zu nehmen ist.
Wie sieht die derzeitige Situation aus? In Deutschland und in der Schweiz ist die Beihilfe zum freiverantwortlichen Suizid – im Gegensatz etwa zu Großbritannien, Österreich oder Italien – nicht strafbar. Das folgt der Logik des Strafrechts: Da die (versuchte) Selbsttötung als solche nicht strafbar ist, kann auch die Beihilfe dazu nicht strafbar sein. Dennoch ist die Beihilfe zur Selbsttötung für deutsche Ärzte nicht nur berufsrechtlich, sondern auch strafrechtlich gefährlich. Die Rechtsprechung geht nämlich von der sogenannten «Garantenstellung» des Arztes aus, die ihm eine besondere Verantwortung für das Leben seiner Patienten zuweist. Die Folgen sind paradox: Auch bei einem Suizid, den der Arzt für freiverantwortlich erachtet, muss er lebensrettende Maßnahmen einleiten, sobald der Patient das Bewusstsein verliert. Andernfalls droht ihm eine Anklage wegen Totschlags durch Unterlassen (Mindeststrafmaß fünf Jahre). Das führt dazu, dass Ärzte und Angehörige, für die ebenfalls die Garantenregelung gilt, den Suizidenten im Augenblick des Todes allein lassen müssen, wenn sie sich nicht strafbar machen wollen.[ 14 ]
Das andere Extrem stellt die traurige Geschichte eines 57-jährigen Hirntumor-Patienten dar, der zwar durch seine Erkrankung schon weitgehend gelähmt war, aber geistig noch so fit, dass er seinem Arzt gegenüber den Wunsch nach Lebensverkürzung äußern konnte. Das hätte er lieber nicht tun sollen, denn der Arzt wies ihn umgehend wegen Selbstgefährdung gegen seinen Willen in die Psychiatrie ein, wo der schwerstkranke Mann dann die letzten zwei Wochen seines Lebens auf der geschlossenen Station verbringen musste, ehe er dort starb.
Die geschilderten Beispiele zeigen, welche verheerenden Folgen das Rechtskonstrukt der Garantenstellung hat. Es führt dazu, dass Patienten, die eigentlich gerne mit ihren Ärzten über ihren Suizidwunsch sprechen möchten und denen vielleicht eine Alternative aufgezeigt werden könnte, dies nicht tun – entweder aus Angst, psychiatrisiert und zwangseingeliefert zu werden, oder, paradoxerweise, aus dem altruistischen Wunsch heraus, die Ärzte zu schützen. Das ist durchaus plausibel, denn eine Studie des Palliativzentrums der Universität München hat, wie erwähnt, ergeben, dass die Wertvorstellungen von Schwerstkranken sich zum Altruismus hin verändern.[ 15 ] Und es fällt in der Tat schwer, etwas ethisch Verwerfliches darin zu sehen, wenn Sterbende den Menschen, die ihnen nahestehen, nicht zur Last fallen wollen.
Dass die ärztliche Garantenstellung beim Suizid in ihrer absoluten Form nicht einmal mehr in bioethisch konservativen Kreisen Zustimmung findet, zeigt folgendes Zitat aus einem gemeinsamen Hirtenschreiben der katholischen Bischöfe von Freiburg, Straßburg und Basel: «Es mag schwerste Krankheitsverläufe und Leidenszustände geben, angesichts derer ein Arzt nach sorgfältiger Gewissensprüfung zu dem Urteil kommt, dass er einem Suizidversuch seines Patienten nicht im Weg stehen sollte.»[ 16 ] Der Arzt darf also beim Suizid wegschauen. Aber soll er auch dabei helfen dürfen?
Im US-Bundesstaat Oregon ist der ärztlich assistierte Suizid seit 1997 gesetzlich erlaubt, Ärzte dürfen beim Vorliegen bestimmter Voraussetzungen eine tödliche Medikamentendosis verschreiben. Bemerkenswert dabei: Etwa ein Drittel der Patienten lässt sich zwar das Rezept geben, führt aber den Suizid dann nicht durch. Es geht also vielen Menschen offensichtlich primär um das Gefühl der Kontrolle über ihre letzteLebensphase, sie besorgen sich damit sozusagen eine Art «Sterbeversicherung». Nur etwa ein bis zwei von tausend Menschen sterben in Oregon durch ärztlich assistierten Suizid, was auch an der hervorragenden palliativmedizinischen Versorgung liegt. Aber auch ein Promille der Sterbenden entspräche in Deutschland über 800 Menschen pro Jahr oder zwei bis drei pro Tag. In der Schweiz wiederum wird die Hilfe zur Selbsttötung nicht durch Ärzte, sondern durch Organisationen wie EXIT oder DIGNITAS durchgeführt, die so gut
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