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Über das Sterben

Über das Sterben

Titel: Über das Sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gian Domenico Borasio
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Sterbehilfe» und deren Ersatz durch nichtemotionale, juristisch wie ethisch eindeutige Definitionen vor (Tabelle 9.1).
    Tabelle 9.1: Alternativbegriffe zur Sterbehilfe
    «aktive Sterbehilfe»
Tötung auf Verlangen
«passive Sterbehilfe»
Nichteinleitung oder Nichtfortführung lebenserhaltender Maßnahmen
(Zulassen des Sterbens; BGH: Behandlungsabbruch)
«indirekte Sterbehilfe»
(inzwischen überholt)
Zulässige Leidenslinderung bei Gefahr der Lebensverkürzung
Beihilfe zur Selbsttötung (assistierter Suizid)[ 11 ]
    Die Diskussion über Entscheidungen am Lebensende konzentrierte sich über viele Jahre auf die Zulässigkeit der Beendigung lebenserhaltender Maßnahmen, auf die Wirksamkeitsvoraussetzungen von Patientenverfügungen und auf die Euthanasiegesetzgebung der Niederlande, die in Deutschland einhellig und meines Erachtens zu Recht abgelehnt wird. In letzter Zeit ist der Begriff des assistierten Suizids (Beihilfe zur Selbsttötung) stärker in den Vordergrund gerückt. Lange Zeit wurde dieser Tatbestand in einem Atemzug mit der Tötung auf Verlangen genannt, obwohl zwischen beiden ein fundamentaler Unterschied besteht: Beim assistierten Suizid tötet sich der Betroffene selbst, beispielsweise durch die Einnahme einer tödlichen Medikamentendosis. Er wird dabei durch Dritte unterstützt, die die Voraussetzungen für die Selbsttötung (z.B. durch Bereitstellung der Medikamente) schaffen,behält aber bis zum Schluss selbst die Kontrolle über das Geschehen.
    Ausgehend von den insgesamt positiven Erfahrungen im US-Bundesstaat Oregon, in dem seit 1997 der ärztlich assistierte Suizid unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt ist (nicht hingegen die Tötung auf Verlangen), fordern hierzulande in letzter Zeit einige prominente Juristen und Ärzte eine ähnliche Gesetzgebung für Deutschland.[ 12 ] Ob das wirklich notwendig und sinnvoll ist, soll im folgenden Abschnitt diskutiert werden.
Brauchen wir den ärztlich assistierten Suizid?[ 13 ]
    Der junge Patient auf der Palliativstation litt an stärksten Schmerzen aufgrund eines unheilbaren Tumors. Die Schmerzen konnten innerhalb einer Woche gut gelindert werden. Der Patient war sehr zufrieden, bedankte sich bei allen, ging nach Hause und nahm sich das Leben. Das Palliativteam war zutiefst betroffen: «Wieso hat er mit uns nicht geredet?» Die Schwester des Patienten, der er sein Suizidvorhaben mitteilte, stellte ihm die gleiche Frage: «Weshalb hast du nicht mit den Ärzten gesprochen?» Die erschütternde Antwort: «Um Gottes willen. Die Ärzte sind so gut zu mir gewesen, ich konnte sie doch unmöglich in Schwierigkeiten bringen.»
    Dieser Fall ist beispielhaft für die gegenwärtige Diskussion. Laut einer Mitte 2010 veröffentlichten Ärzte-Umfrage spricht sich ein Drittel der befragten Mediziner für den ärztlich assistierten Suizid aus. Dieser wird aber von der Bundesärztekammer strikt abgelehnt. Im Juni 2011 verschärfte der Deutsche Ärztetag sogar in diesem Punkt die ärztliche Berufsordnung,in der es jetzt unzweideutig heißt: «[Ärzte] dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten.» Das bedeutet, dass Ärzte, die einem Patienten bei der Selbsttötung helfen, den Entzug ihrer Berufserlaubnis riskieren. Doch angesichts der hohen Anzahl von Ärzten, die in diesem Punkt anderer Meinung sind, bleibt die Frage im Raum: Brauchen wir eine standesrechtliche oder gar gesetzliche Zulassung des ärztlich assistierten Suizids?
    Die Gesamtzahl der Selbsttötungen ist in Deutschland seit den 1980er Jahren ständig gesunken und liegt nun unter 10.000 pro Jahr. Aber es sind immer noch etwa 12 von 1000 Todesfällen und damit mehr als die Verkehrstoten, die Aids-Toten, die Drogentoten und die Opfer von Gewaltverbrechen zusammengezählt. Die allermeisten Suizide finden bei Menschen statt, die an einer Depression leiden. Hier ist von einer potentiellen Behandelbarkeit der Grunderkrankung auszugehen, was die Möglichkeit einer Suizidbeihilfe von vornherein ausschließt.
    Die Diskussion über den assistierten Suizid konzentriert sich auf eine andere Patientengruppe, nämlich die unheilbar Kranken. Hier sind sich die Suizidforscher weitgehend einig: Eine Suizidentscheidung angesichts schwerster Erkrankung und einer begrenzten Lebenserwartung kann im Einzelfall auch aus psychiatrischer Sicht freiverantwortlich sein und sollte dann auch respektiert werden. Extremfälle mit schwersten Krankheitsverläufen wurden wiederholt in der Presse geschildert; zum Teil begleitete die

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