Über das Sterben
wie keiner staatlichen Kontrolle unterliegen. Im Juni 2011 wurde eine Gesetzesinitiative, welche ein Verbot dieser Praxis anstrebte, im Kanton Zürich mit einer Mehrheit von 85 Prozent von der Bevölkerung klar abgelehnt.
Gegen eine ausdrückliche Legalisierung der ärztlichen Hilfe bei der Selbsttötung wird angeführt, dass sie das Arzt-Patienten-Verhältnis negativ verändern würde, weil man die Suizidassistenz dann gewissermaßen als ärztliche Leistung einfordern könnte. Das ist durchaus denkbar, wenn auch nicht bewiesen. Noch schwerer wiegt meines Erachtens ein anderes Argument: Es ist heute in Deutschland für Ärzte aufwändiger, zeitraubender und auch teurer, einen Patienten am Lebensende adäquat palliativmedizinisch zu betreuen (einschließlich Hausbesuche, Gespräche mit Angehörigen usw.), als ihm ein Rezept für eine tödliche Medikamentendosis auszuhändigen. Dieser Interessenkonflikt sollte unbedingt vermieden werden – am besten durch eine flächendeckende, bedarfsgerechte stationäre und ambulante Palliativversorgung.
Aber wird ein Ausbau der Palliativmedizin ausreichen, um alle Wünsche nach Lebensverkürzung aus der Welt zu schaffen? Immerhin sprechen sich Palliativmediziner häufiger gegen den assistierten Suizid aus als andere Ärzte, und Politikerwie Berufsethiker kontern die Diskussion um liberalere Suizidregeln reflexhaft mit einem Appell für den Ausbau der Palliativmedizin. Das klingt zwar gut, doch die wissenschaftlichen Daten und die klinische Erfahrung zeigen eindeutig:
Auch bei optimaler Palliativbetreuung gibt es Menschen, die am Lebensende aus nachvollziehbaren Gründen ihren Todeszeitpunkt selbst bestimmen möchten.
Dass sich diese Menschen dann bessere Alternativen wünschen als U-Bahn oder Strick, ist verständlich. Bei Hochbetagten ist der freiwillige Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit eine häufige Suizidmethode mit einer hohen Dunkelziffer,[ 17 ] und nach amerikanischen Studien ist der Sterbeverlauf dabei sehr friedlich.[ 18 ] Der Sterbeprozess dauert allerdings zehn bis vierzehn Tage und kann für die Angehörigen ziemlich belastend sein[ 19 ] (gewaltsame Suizidformen sind es natürlich noch viel mehr). Was dann?
Einfache Lösungen gibt es nicht. Die legalisierte Tötung auf Verlangen, wie sie in den Niederlanden und Belgien praktiziert wird, lässt sich aufgrund der vorhandenen Daten relativ einfach ablehnen. Unter anderem besteht die konkrete Gefahr der Ausweitung dieser Praxis auf Menschen, die gar kein entsprechendes Verlangen geäußert haben (solche Fälle kommen in den Niederlanden nachweislich vor). Deshalb ist es richtig, dass in Deutschland die Tötung auf Verlangen strafbar ist und bleibt.
Anders verhält es sich aber mit dem straffreien assistierten Suizid, weil ja in diesem Fall der Patient von sich aus und in eigener Tatherrschaft sein Leben beendet. Hier muss die Diskussion weitergeführt werden. Dabei ist es vielleicht hilfreich, sich die Dimension des Problems vor Augen zu führen. Jedem Schwerstkranken, der einen freiverantwortlichen Suizid durchführen möchte (und der, wenn man ihm keine adäquateAssistenz anbietet, tatsächlich darunter leiden wird), stehen 999 andere Sterbende gegenüber. Zwölf davon werden ebenfalls an Suizid sterben, allerdings aufgrund einer potentiell behandelbaren psychiatrischen Erkrankung. Für die anderen 987 ist Suizid keine Option, sie wünschen sich lediglich eine gute medizinische und menschliche Sterbebegleitung.
Es ist richtig, dass wir uns um den einen schwerstkranken Patienten mit Suizidwunsch kümmern sollten, denn jedes Schicksal ist wichtig. Aber wenn wir hier nach einer allgemeinen Lösung suchen, dann sollten wir uns auch überlegen, welche Folgen diese Lösung für die zwölf psychisch kranken Suizidenten hat, für die übrigen 987 Sterbenden und für die gesamte Gesellschaft. Wir sollten dann auch zugeben, dass wir konsequenterweise mindestens zwölfmal so viel Energie für die Prävention nicht-freiverantwortlicher Suizide aufwenden sollten und entsprechend 987-mal mehr Zeit, Energie und Ressourcen für eine optimale palliativmedizinische und hospizliche Versorgung am Lebensende. Dann hätten wir eine andere Gesellschaft und damit wahrscheinlich auch eine einfachere Diskussion.
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Palliativmedizin und Hospizarbeit:
Mythos und Realität
Sowohl die moderne Palliativmedizin als auch die Hospizbewegung haben ihren Ursprung in der großartigen Pionierarbeit von Dame Cicely Saunders (Abb. 10.1). In
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