Über das Trinken
derart grenzenlosen Macht können sich am Ende sogar die Bedenkenträger sicher aufgehoben fühlen. Für diese Art des Denkens kann man dem Barock keinen Vorwurf machen, solange auch heute noch der gemeine Macho seine Souveränität aus der Rücksichtslosigkeit gewinnt.)
Es versteht sich aber von selbst, daß ein nüchterner Blick auf die Verhältnisse und die Bilanzen die Laune trüben muß. So ein Leben funktioniert nur in ständigen Reizüberflutungen. Tage, an denen mal nichts los ist, müssen da wirken wie Entziehungskuren auf einen Junkie. Auch deshalb wurde wohl die Gesellschaft zur Bekämpfung der Nüchternheit gegründet, von der zu
Beginn dieses Buches die Rede war: die Societé des Antisobres , der exklusive Club von sächsisch-polnischen und brandenburgisch-preußischen Hochadligen zur alkoholinduzierten Entkrampfung der Beziehungen.
Historiker Blaschke tat sein Bestes, meine euphorischen Interpretationen dieses Geheimbundes ein wenig abzumildern: In erster Linie sei das wohl eine Schnapsidee von Leuten gewesen, die sonst nichts zu tun hatten. Das politische Tagesgeschäft erledigten nüchterne Räte. Und dennoch: Solange die Herrscher Sachsens und Preußens sich gemeinsam vollaufen ließen, war die Stimmung gut und das Leben halbwegs friedlich.
Das Trinken wird ohnehin einer der wenigen Anknüpfungspunkte gewesen sein, die die beiden überhaupt miteinander hatten. Der Preußenkönig war kein besonders feinsinniger Mann. Bier und ungesundes Essen waren ihm wichtig. Prunk haßte er. Der einzige Luxus, den er sich leistete, waren hochgewachsene Soldaten. Friedrich Wilhelm I. liebte seine Langen Kerls genauso innig wie August der Starke das Porzellan. Beide Leidenschaften sprechen für sich. Was deshalb geschehen mußte, liegt auf der Hand: 1717 wurde getauscht. 600 sächsische Soldaten gingen nach Berlin, ein ganzes Dragonerregiment. 151 fast mannshohe chinesische Deckelvasen kamen dafür nach Dresden. Friedrich Wilhelm betrieb die Militarisierung seines Landes, August den Umbau zum Kulturzentrum. Die Preußen waren arm und setzten auf
Expansion, die Sachsen waren reich und fanden es klüger, diesen Reichtum zu intensivieren. Sollten die anderen Kriege führen, den großzügigsten Gastgeber weit und breit wird schon im eigenen Interesse keiner behelligen … So in etwa war das Kalkül.
Aber wie das so ist, wenn alle ihren Spaß haben: Einen gibt es immer, der beleidigt am Rand sitzt und zürnt. In diesem Falle war das des Soldatenkönigs Sohn, Friedrich II.
Es war während des Zeithainer Lagers, dem bombastischsten Fest des gesamten europäischen Barocks, und man weiß nicht, was genau vorgefallen ist, aber hier muß der Preußenprinz in einer Weise gedemütigt worden sein, die ihn für sein Leben gekränkt hat. So erklären sich jedenfalls die Historiker den pathologischen Haß, den Friedrich II. später als Preußenkönig auf Sachsen hatte. Im Siebenjährigen Krieg behandelte er das Land wie seine Nachfahren im Ersten Weltkrieg Belgien: Ohne Kriegserklärung einfach drübertrampeln und möglichst viele Scherben hinterlassen. Sachsen war für ihn ein Land von degenerierten Lüstlingen, die jederzeit bereit waren, an ihren Streitkräften zu sparen, um sich dafür ein paar Kunstschätze, Feste, Jagdgesellschaften mehr zu leisten. Sachsen war für ihn ein »Mehlsack«, wie er einmal sagte, auf den man immer weiter draufhauen könne und es käme immer noch etwas heraus. Was Friedrich beweisen wollte: Sachsen war nicht
der Triumph des Bacchus – Sachsen war der trunkene Silen. Ein dicker, wehrloser, betrunkener Mann, der, wie auf einem berühmten Gemälde von Rubens, noch nicht einmal merkt, daß er gerade sexuell mißbraucht wird.
So sah es Friedrich II. Und weil die Geschichte von den Siegern geschrieben wird, lebt dieses Bild bis heute. Die sächsischen Kurfürsten spielen in ihr die Rolle von selbstzufriedenen und vergnügungssüchtigen Versagern – als warnendes Gegenbild zu der aggressiven Nüchternheit, mit der es die Preußen aus ihrer Sandwüste zur Weltmacht gebracht hatten.
Aber es ist immer die Frage, wer zuletzt lacht. Der nüchterne Weg der Preußen führte zur Militarisierung der Gesellschaft. Am Ende standen zwei Weltkriege. Das Ergebnis: Heute ist Preußen von der Weltkarte verschwunden. Aber Sachsen gibt es noch.
Und ich weiß nicht, wie es den 600 Soldaten heute geht, die damals eingetauscht wurden. Ich weiß nur: Die sogenannten Dragonervasen aus Berlin stehen heute noch in
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