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Über das Trinken

Über das Trinken

Titel: Über das Trinken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Richter
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Bevölkerung in Geiselhaft nehmen würde.
    Es wäre noch besser, wenn sie das Trinken als berufskennzeichnend akzeptieren könnte.
    Und es wäre am besten, wenn sie einsehen würde, daß ihr wirklicher Dienstherr Dionysos heißt. Ein launischer Chef. Aber es gibt wirklich schlimmere.

X. Trinken und dichten: Braucht, wer schreibt, den Rausch?

    Die Trockenlegung des Journalismus · Der Three- Martini-Lunch als Kraftprobe · Trinken und Schreiben · Gefahrenquelle Internet · Trinken und Lesen · Die Lehre des Kingsley Amis · Warum Schriftsteller trinken · Warum amerikanische Schriftsteller am meisten trinken
    Wenn Politiker trinken, was sollen dann Journalisten tun?
    Mittrinken natürlich. Und im Idealfall mehr vertragen. Es geht bei der Sache ja auch darum, wer wem was entlockt, und wer es hinterher noch aufschreiben kann. Legendär waren die Hintergrundrunden in den Kneipen von Bonn. Da floß das Kölsch, und da flossen die Informationen. Da ging es um Vertrauliches. Und deshalb trank man miteinander. Um Vertrauen herzustellen. Und Vertrauen war da, wenn sich Staatssekretär und Politikredakteur gegenseitig stützen mußten beim Nachhausegehen.
    Ich habe diese Männer noch kennengelernt. Ende der Neunziger in Bonn, als die Regierung umzog nach Berlin, da saßen sie in ihren alten Parlamentskorrespondentenbüros und machten nun gar keine Anstalten mehr, die Schnapsflasche in die Schrankbar zurückzuräumen. Mit rauchigen Stimmen beklagten sie den Gang der Zeiten. Daß sie die alten Spießer seien, die in ihren Bonner
Eigentumshäuschen hocken blieben, während der Troß jetzt in das neue, junge, hippe BERLIN umziehe. Höhnische Überbetonung. Abwinken. Zigarettchen. Und Schlückchen. Um die Bitterkeit runterzuspülen.
    Tatsächlich ging es in Berlin nicht mehr ganz genauso weiter wie in Bonn. Plötzlich standen da auf beiden Seiten immer öfter so junge, ehrgeizige Aufsteigertypen und schauten pikiert, wenn jemand Drinks anbot. Die Veteranen versuchten, die alten Sitten noch ein Weilchen zu verteidigen und verschanzten sich in der »Ständigen Vertretung« (einer Kneipe, die heute, glaube ich, nur noch von Touristen besucht wird) hinter ihren Kölschgläsern. Einmal habe ich dort einen Rundfunkvolontär um Gnade betteln hören, er könne nun wirklich nicht mehr. Sein Ausbilder ließ ihm das aber nicht durchgehen. Das Handwerk wolle gelernt werden. Das Nachrichtenschreiben, das Redigieren, das Kölschtrinken. Der junge Mann bekam noch eins.
    Bei den Moderatoren von abendlichen Kultursendungen war es natürlich eher kein Kölsch, sondern ein schönes kultiviertes Glas Wein oder auch zwei im Casino, bevor es ans Mikrofon ging, um die nötige Flüssigkeit in Stimme und Diktion zu bekommen. Große, inspirierte Rundfunksendungen waren das! Als später die Verhaspeler zunahmen und die Interviews fahriger wurden, da wußte ich, daß auch hier die Trendwende eingesetzt hatte und Trinken im Dienst nun nichts mehr galt.

    Es ist innerhalb der letzten zehn Jahre passiert. Die Flasche wurde aus den Büros verbannt, wo sie einst zur Grundausstattung gehörte  – wie Lampe und Locher. Auch wir hatten am Anfang immer ein bißchen Bier in der Redaktion. Die Flaschen wurden kalt gelegt  – und ganz einfach vergessen, bis sie eines Tages geplatzt im Kühlfach lagen. Keiner wollte mehr. Selbst wenn jemand Geburtstag hat und eine Flasche Schampus hinstellt, nehmen heute alle nur noch einen »winzigen Schluck«, weil sie gleich noch etwas Wichtiges schreiben müßten, was sie sonst, so angetütert, nicht mehr hinbekämen.
    Wie in den Sagen aus dem Altertum klingt es inzwischen, wenn die Älteren von jenem Ressortchef erzählen, den es in einer großen Stadt in Süddeutschland einmal gegeben haben soll, vor noch gar nicht mal so wahnsinnig vielen Jahren, einem Mann, der, egal wie die Welt- und Nachrichtenlage war, jeden Mittag unbeirrt in ein Weinlokal ging, ein oder zwei Bier nahm zum Aperitif und gegen den Durst, zum Essen eine Flasche Wein und dann noch einen Digestif; und dann nahm er den Bewirtungsbeleg, notierte als Zweck des Geschäftsessens »Vorbereitung eines Angriffskriegs«, um sich anschließend unter dem Vorwand, ein bißchen Post durchsehen zu müssen, in sein Büro zurückzuziehen, indessen die untergebenen Mittrinker mit schwummrigem Kopf die zum Nachmittag hin immer hektischer werdende Arbeit zu verrichten hatten.

    Diese Mittagessen mit Trinkzwang waren einmal in vielen Branchen und den meisten Ländern üblich.

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