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Über das Trinken

Über das Trinken

Titel: Über das Trinken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Richter
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Als Präsident Nixon gegen den »Three-Martini-Lunch« wetterte, weil er Volksgesundheit wie Volkswirtschaft untergrabe, da lachten sie in den Businessrestaurants von Manhattan nur rauh, denn da waren sie meistens schon beim vierten Glas. Heute kennen jüngere den Brauch höchstens noch aus Fernsehserien wie »Mad Men«.
    Es waren natürlich üble Männerrituale. Mal sehen, wer wieviel verträgt  – und wer danach noch welche Arbeitsleistung bringt. Ein Armdrücken mit der Leber.
    Mit Blick auf ihre Lebenserwartung kann der Berufsstand der Journalisten heilfroh sein, daß diese Zeiten vorbei sind. Was frühen Tod anbelangt, konkurrierten Journalisten traditionell mit Gastronomen, Kellnern, Barleuten. Also ihren engsten Freunden.
    Was mit dieser Praxis allerdings verlorengeht, ist die Fähigkeit, alkoholisiert zu schreiben. Und das ist schon eine nicht ganz unrelevante Kulturtechnik.
    Es sind aber auch die Zeiten, die das betrunkene Schreiben zu einem unkalkulierbaren Risiko machen, der technische Fortschritt, die Digitalisierung. Früher konnte das, was man betrunken geschrieben hat, in der Klarheit des nächsten Tages noch einmal überprüft und korrigiert werden  – auch wenn Thomas Kapielski sagt, daß es umgekehrt sei, daß bei einem Gedanken, der nüchtern gefaßt wurde, immer erst einmal geschaut werden
müsse, ob er auch alkoholisiert noch tragfähig ist. Heute, wo die Welt einerseits verlernt, mit dem Trinken und Schreiben umzugehen, andererseits technologisch aber immer schneller und irreversibler wird, heute muß die schlichte Sicherheitsregel aufgestellt werden: Sobald die Flasche auf ist, bleibt der Computer aus! Es werden dann bitte keine E-Mails mehr geschrieben. Kein Blog-Kommentar und keine Facebook-Statusmeldung. Es wird dann bitte einfach nichts Grundsätzliches und immer schon einmal gesagt werden Wollendes in die Welt hinausgejagt.
    Denn immer noch gilt: in vino veritas . Das bezieht sich aber nun einmal nicht auf die Erkenntnisqualitäten des Trinkenden, sondern darauf, daß er eben recht ungefiltert sagt, was ihm gerade durch den Kopf schwimmt. Und das ist leider inkompatibel mit dem Netz in seiner nichts verzeihenden Grausamkeit. Was weg ist, ist weg. Und das Gegenüber da draußen weiß von Kontext und Promillegrad der Äußerungen erst einmal nichts, sie treffen ihn in der ganzen erbärmlichen Nüchternheit desjenigen, der gerade den Computer hochfährt  – und Nüchterne können Betrunkenen letztlich niemals wirklich verzeihen. Nicht die Wahrheiten, die Sie äußern. Und eigentlich auch den Rausch schon nicht.
    (Zum Zeitpunkt der Niederschrift wird berichtet, daß ein amerikanisches Unternehmen deswegen einen Promilletest für das Internet entwickelt habe: Das Programm
teste vor dem Einloggen in soziale Netzwerke wie Facebook und ähnlichen zum Schutz vor sich selbst die Motorik des Nutzers. Zum Beweis dafür, daß er noch einigermaßen gerade Kommentare ins Netz zu schreiben in der Lage ist, muß er zunächst mit dem Cursor der Maus kreiselnden Kreisformen beikommen und solche Sachen.)
     
    Trinken und schreiben geht nämlich. Trinken und lesen aber nicht. Dafür ist das Lesen selbst dem Trinken wirkungsästhetisch zu ähnlich.
    Der Titel dieses Buches zum Beispiel, der ist von einem anderen Buch, sagen wir mal: inspiriert. Aber da das Inspiriertsein nach gewissen Ansichten der antiken Kunsttheorie nichts anderes ist als das, was das Trinken mit einem macht, klingt das in diesem Zusammenhang, dachte ich, vielleicht verzeihlicher.
    Im Sommer vor zwei Jahren fiel mir in einer New Yorker Buchhandlung ein Sammelbändchen des englischen Schriftstellers Kingsley Amis in die Hände: »Everyday Drinking  – The Distilled Kingsley Amis«. Es lag da in Stapeln direkt neben der Kasse. In Stapeln, die mit jeder Minute kleiner wurden. Das Buch war das, was man einen Bestseller nennt. Und man konnte die New Yorker, die es dazu gemacht hatten, verstehen. Da standen sie in diesem strahlend blauen New Yorker Spätnachmittag und schauten traurig in einen Wald aus Verboten.
Drinnen durften sie nicht rauchen, draußen nicht trinken. Und die hageren Mädchen, die mit ihren Mineralwasserflaschen an ihnen vorbeigejoggt kamen wie keuchende Ausrufezeichen, die gaben ihnen den Rest. Aber der Durst sucht sich immer seinen Weg, und dieses Buch sah aus, als ob man es trinken könnte: Ein Umschlag in der Farbe, die Oliven annehmen, wenn sie lange genug auf dem Grund eines Martiniglases ruhen.
    »Everyday

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