Über das Trinken
Gesundheit, Arbeitsleistung sowie ungeborene Kinder.
Den Winzern, Brauern und Spirituosenproduzenten gelang es allerdings, den Entwurf weitgehend zu entschärfen.
Das Kyprianos-Papier hatte Wein und Bier noch zu Rauschdrogen erklärt. Auf Druck der Hersteller wurden sie wieder als Genußmittel und Kulturgüter rehabilitiert. Die überwältigende Mehrheit der Verbraucher, so argumentierten die Produzenten, wisse verantwortungsvoll damit umzugehen. Diese Schlacht ging noch einmal an die Lobbyisten der Getränkeindustrie – und an die Art von Politikern, denen das Volksnahe am Herzen liegt. Aber selbst ein Horst Seehofer von der CSU mußte seinen bayrischen Bierbrauern im Anschluß mitteilen, daß damit der Krieg erst begonnen habe.
Alle Beteiligten wußten, daß der Alkohol nun dort stand, wo der Tabak vor dreißig Jahren war. Genauso hatte es auch mit den Zigaretten angefangen: Die ersten Angriffe wurden noch machtvoll abgewehrt. Aber die Tabakindustrie konnte seitdem gar nicht mehr oft genug beteuern, daß »die Cigarette« ein »Genußmittel« sei, welches bei richtiger Anwendung »bewußt« und mit »Verantwortung« zu Gemüte geführt werde. Feierabend und Clubsessel – das sollte sich irgendwie damit verbinden. Aber das war natürlich absurd. Schon weil die Zigarette ja nicht Zigarre heißt. Die Zigarette ist kein handgerolltes Luxusprodukt. Die Zigarette ist für das kleine, hektische Gesauge zwischendurch. Ihr Wesen ist die Massenhaftigkeit. Zigaretten galten immer als Inbegriff eines kapitalistischen Produkts: das Angebot beruht wie bei kaum einer anderen Ware auf Massenfertigung und
die Nachfrage wie bei keiner anderen Sache auf Marketing. Das Bedürfnis wird durch die Verheißung der Werbung erst geschaffen, und anschließend kann sich der Tabakkonzern in der Regel auf lebenslange Markentreue verlassen: Eigentlich hätte sich die Linke bei ihrem Kampf gegen den Kapitalismus als erstes die Zigaretten vornehmen müssen. Tatsächlich hat sie vermutlich am meisten davon weggeraucht. Und zwar je linker, desto mehr. Ein Linksradikaler ohne Kippe im Mundwinkel? Undenkbar. Im Rauchen wenigstens war ihnen die Verbundenheit mit den breiten Volksmassen sicher. Heute dürfen sie dafür mit anschauen, wie infolge einer jahrelangen Kampagne gegen das Rauchen die Zigaretten zusehends zum Unterschichtenmerkmal werden, während ihre Hersteller sie gleichzeitig zum Feinkostprodukt vom Rang eines Sommertrüffels uminterpretieren; immerhin kosten sie ja auch fast schon genausoviel.
Der Geschäftsführer der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen freute sich damals jedenfalls lautstark, daß sich die Alkoholindustrie nun genauso zu winden begann wie die Tabakkonzerne, wenn sie ihre Zigaretten mit C schrieben. Firmen wie Bacardi fingen nämlich ebenfalls an, »Verantwortungsvoller Genuß ab 18 Jahren« auf die Etiketten zu drucken. Wenn aber die Hersteller »Genuß« und »Verantwortung« erst einmal derart betonen, ist das in den Augen ihrer Kritiker nichts anderes als ein Zugeständnis, daß ihre Produkte eben auch
unverantwortlich konsumiert werden können, also gefährlich sind – und damit ein erster Riß in der Mauer. Und jedesmal wenn seitdem eine Restriktions-Initiative der wechselnden Drogenbeauftragten der Bundesregierung durch die Getränkehersteller und ihre Interessenverbände zurückgeschlagen werden konnte, wurde dieser Riß ein Stück spürbarer. Allein, daß es die Drogenbeauftragten sind, die sich mit dem Thema befassen, ist ein unmißverständliches Zeichen.
Noch halten die Wälle, die Brauer, Winzer und Volksgewohnheit errichtet haben. Vor der Trinklust der Deutschen haben Luther, die Obrigkeiten des Vormärz, die Nazis und die DDR-Kommunisten resigniert. Sie alle haben sie zwar bitter beklagt, aber letztlich mußten sie es alle laufen lassen. Es könnte aber sein, daß es inzwischen Mächte gibt, die stark genug sind, sogar den Deutschen ihren Durst auszutreiben. Eine davon heißt Amerika, eine andere Europa. Und eine dritte heißt Weltgeist, Zeitgeist, Lauf der Dinge – wie auch immer man das nennen mag, wenn es heißt, dieses oder jenes (zum Beispiel: »die Globalisierung« oder »die Digitalisierung«) »wird kommen«, ob einem das passe oder nicht. Und bisher kommt das dann meistens aus den Vereinigten Staaten.
Vielleicht ist es noch erinnerlich, wie sehr noch vor wenigen Jahren bei uns über den Nichtraucherfimmel der Amerikaner gehöhnt wurde. Das echauffierte Handgewedel vor der
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