Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ueber Den Deister

Ueber Den Deister

Titel: Ueber Den Deister Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Teltscher
Vom Netzwerk:
gearbeitet hatte. An ein Verbrechen oder sogar an Mord im Zusammenhang mit dem Verschwinden ihrer Mutter hatte sie bisher nicht ernsthaft gedacht.
    Sie fuhr an der großen Fabrik vorbei, wo Kekse und süße Snacks produziert werden und in deren Riechweite es oft nach Schokolade duftet. Früher, als sie noch nicht bewusst gesund lebte, hatte sie diese leckeren Dickmacher mit Begeisterung verzehrt, heute verachtete sie solche Kalorienbomben.
    Marder wartete bereits vor dem Haus von Vera Matuschek. Er war erstaunt, wie der Garten sich verwandelt hatte. Das Grundstück wirkte nicht mehr so übergepflegt wie vor zwei Jahren. Der Rasen, früher ein makelloser grüner Teppich, blühte nun als Kräuterwiese; in der Luft hing das leise Summen von Insekten, die sich über den Gräsern tummelten.
    Niemand hatte in diesem Sommer den Rasen gemäht, vielleicht auch nicht im Jahr davor. Das Gras stand kniehoch und zeigte die ersten Zeichen des Leidens unter der Trockenheit. Die anhaltende Hitze hatte der Natur die Frische genommen, die Marder noch bei seiner Ankunft in Barsinghausen wahrgenommen hatte. Die Büsche und Sträucher an den Rändern des Gartens hatten das Aussehen von stramm stehenden Friedhofspflanzen verloren, den er bei seinen früheren Besuchen als abweisend empfunden hatte. Sie waren seit Langem nicht mehr beschnitten worden und wuchsen sich in ihre natürlichen Formen zurück. Es schien, als hätte Vera Matuschek jegliches Interesse an dem Garten verloren und ihn sich selbst überlassen.
    Anja begrüßte Marder, ohne dem Garten einen Blick zu gönnen. Sie hatte die Verwandlung des Grundstückes entweder nicht mitbekommen, oder es interessierte sie nicht.
    »Tut mir leid, Herr Kommissar, dass ich mich ein bisschen verspätet habe, aber ich hatte einen wichtigen Termin, den ich nicht verschieben konnte. Ich hoffe, Sie haben sich inzwischen nicht gelangweilt.«
    Marder schaute Anja bewundernd an, sie hatte sich verändert. Ihr Gesicht war immer noch von puppenhafter Schönheit, hatte aber den Babyspeck verloren, der Marder vor zwei Jahren aufgefallen war, und es lag nicht mehr unter einer dicken Schicht Make-up verborgen. Ihre Frisur sah nach zufälliger Lässigkeit aus. Alles in allem strahlte sie eine Natürlichkeit aus, die er früher an ihr vermisst hatte. Sie hatte ein paar Kilo verloren, was ihre Figur jedoch eher betonte als zu schaden. Marder war sich bewusst, dass er wie ein ganz gewöhnlicher Macho dachte, aber er konnte den natürlichen Lauf seiner Gedanken nicht bremsen.
    Sie gaben sich die Hand.
    »Sie wissen, warum ich hier bin, Frau Matuschek.«
    »Ja, natürlich. Ich habe bis vor zwei Stunden nicht geahnt, dass Sie kommen würden, und ich weiß wirklich nicht, was Sie für mich tun können.«
    Anjas Vertrauen in Marder hielt sich offensichtlich in Grenzen. Oder war sie sauer auf ihn, weil er vor zwei Jahren abgereist war, ohne sich von ihr zu verabschieden?
    »Vielleicht ist alles nur ein Missverständnis, und meine Mutter taucht fröhlich wieder auf und wundert sich über das Theater, das ich veranstaltet habe.«
    »Darüber würde ich mich genauso freuen wie Sie. Aber weil wir davon erst einmal nicht ausgehen können, möchte ich versuchen, sie zu finden. Zunächst würde ich mich gern mit Ihnen im Haus Ihrer Mutter umschauen. Vielleicht finden wir etwas, das uns weiterhilft.«
    »Das glaube ich zwar nicht, aber schön wär’s.«
    Sie blickte Marder nun freundlicher an. In ihren Augen war Sorge zu erkennen.
    »Wissen Sie, ich hätte nie gedacht, dass ich je Angst um meine Mutter haben würde, so toll war unsere Beziehung eigentlich nie.«
    Schweißperlen liefen an ihrer Stirn herunter. Entweder setzt ihr die Angst um ihre Mutter oder die Hitze des Nachmittags zu, dachte Marder, vielleicht beides. Marder schaute sie an, sein Blick sollte ihr Mut und Zuversicht signalisieren. Er befürchtete, dass es ihm nicht gelang.
    Im Haus war alles so, wie er es in Erinnerung hatte. Die Zimmer waren großzügig, offen und hell, modern eingerichtet. Möbel und Dinge schienen genau an dem Platz zu stehen oder zu liegen, an den sie gehörten. Ein Redakteur von »Schöner Wohnen« hätte kaum etwas umzustellen brauchen, um eine Fotoserie zu schießen. Das Innere des Hauses stand im krassen Gegensatz zum Garten, der es umgab. Hier drinnen totale, geradezu penible Ordnung und Kontrolle, draußen Wildwuchs und Freiheit, als ob Vera ausschließlich die Wohnung als ihren Lebensraum betrachtete und nach ihren

Weitere Kostenlose Bücher