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Ueber Den Deister

Ueber Den Deister

Titel: Ueber Den Deister Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Teltscher
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Vorstellungen gestaltete. Marder erinnerte sich daran, dass er Vera als eine Person eingeschätzt hatte, die Dinge im Extremen betrieb – nach dem Motto »ganz oder gar nicht«. Vielleicht dokumentierten Haus und Garten eine gespaltene Persönlichkeit, die zwischen zwei Welten hin und her wechselte. Die sich vielleicht in der einen Welt nicht bewusst war, was sie in der anderen tat.
    Marder wusste nicht recht, was er in der Wohnung suchen sollte und fand deshalb nichts. Das Wohnzimmer und die Küche gaben keinen Hinweis, dass sich hier irgendwann mehr als eine Person aufgehalten hatte. Im Schlafzimmer war die Decke auf einer Seite des Doppelbettes zum Lüften zurückgeschlagen, nichts deutete an, dass die andere Seite in der letzten Zeit benutzt worden war. Auch im Bad entdeckte er keine Anzeichen einer zweiten Person. Die Kosmetika, die auf einer Glasplatte über dem Waschbecken standen, waren typisch weiblich, soweit Marder das beurteilen konnte. Kein Rasiergerät, Männer-Deo oder andere Utensilien, die auf einen Mann als Mitbenutzer dieses intimen Raumes schließen ließen. Über einem Heizkörper hing ein Badetuch zum Trocknen. Marder zog die Schubladen eines Schränkchens auf. Er suchte einen Kulturbeutel, fand aber keinen. Das konnte ein zaghafter Hinweis darauf sein, dass Vera Matuschek das Haus mit der Absicht verlassen hatte, für mindestens eine Nacht wegzubleiben. Im Kleiderschrank schaute er nur oberflächlich nach. Da er keine Ahnung hatte, wie viele Kleidungsstücke Vera besaß, würde er auch nicht feststellen können, ob welche fehlten. Anja sagte, sie wisse es auch nicht.
    Der Raum, in dem Alfred Matuschek früher gearbeitet hatte, sah genauso aus wie vor zwei Jahren. Marder hatte damals darin vergeblich nach Spuren gesucht, die ihm dem Rätsel um den Tod des Kommissars näherbringen sollten. Heute lag alles unter einer grauen Schicht. Marder vermied plötzliche Bewegungen und unterdrückte einen Hustenreiz, um den Staub nicht aufzuwirbeln. Konnte es sein, dass Vera dieses Zimmer nach dem Tod ihres Mannes nie wieder be treten hatte? Es sah so aus.
    Im Zimmer von Vera Matuschek stand auf einem Regal eine Reihe von Ordnern, in denen die Papiere abgeheftet waren, die ein zivilisiertes Leben ausmachen. Auf einen hatte sie Versicherungen geschrieben, auf einen anderen Urkunden und Garantien, auf einen dritten Bank und Rechnungen. Marder hatte keinen richterlichen Durchsuchungsbeschluss, aber da er kein Beamter mehr war, sah er nichts Unerlaubtes darin, den Inhalt der Ordner zu studieren. Danach wusste er recht gut über das Leben von Vera Matuschek Bescheid – auch, dass sie sich finanziell keine Sorgen machen musste. Wo sie aber sein konnte, wusste er so wenig wie zuvor.
    Auf dem Schreibtisch stand neben einer Schreibunterlage ein flacher roter Plastikkasten. Er ähnelte dem auf Marders Schreibtisch zu Hause, in dem er seine unerledigte Post sammelte. Hier lagen unter einem Stadtplan, der als Briefbeschwerer diente, die Briefe und Schreiben, die in den letzten Tagen eingetroffen waren.
    »Ich komme alle zwei oder drei Tage vorbei und nehme die Post aus dem Briefkasten. Die Werbebroschüren werfe ich gleich weg. Den Rest sammle ich in diesem Kasten. Es sind vor allem die üblichen Rechnungen für Strom, Wasser und Gas oder Bittbriefe von Vereinen, die eine Spende haben wollen, nichts wirklich Persönliches«, erklärte Anja, als sie in das Zimmer kam und bemerkte, dass Marder gerade dabei war, die Absenderadressen auf den Umschlägen zu prüfen.
    Sie hatte recht, es war kein Brief dabei, der auf eine private Korrespondenz schließen ließ. Vera Matuschek pflegte offensichtlich nicht viele Beziehungen auf dem Postweg. Sicher auch nicht über E-Mail, denn Marder hatte nirgendwo im Haus einen PC finden können. Er legte die Briefe in die Schale zurück und platzierte den Stadtplan wieder obenauf.
    »Ich habe inzwischen Kaffee gemacht. Wenn es Ihnen recht ist, gönnen wir uns eine Tasse zusammen, obwohl ich eigentlich keinen Kaffee mehr trinke. Aber für Sie mache ich eine Ausnahme.«
    Anjas Einstellung zu Marder hatte sich in den letzten Minuten deutlich verbessert. Er nahm die Einladung gern an, seit Stunden hatte er keinen Kaffee getrunken, und die ersten Entzugserscheinungen machten sich bemerkbar.
    »Ja, das ist ein exzellenter Vorschlag. Noch eine Sache. Ich sehe keinen Computer hier im Zimmer oder sonst irgendwo im Haus.«
    »Ja, Sie werden auch keinen finden. Mein Vater hatte grundsätzlich was

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