Ueber Den Deister
Zeitung, die das Ableben von Brenner Vaters verkündete und dass die Beisetzung am folgenden Donnerstag stattfinden würde. Sie ging nicht auf den Friedhof, weil sie nicht aufdringlich erscheinen wollte, nahm sich aber vor, mit Burt wieder in Kontakt zu kommen. Sie brauchte nicht lange zu überlegen, wie sie das anfangen sollte, denn das Schicksal führte sie an einer Supermarktkasse zusammen. Sie machte es Brenner leicht, sie zu einer Tasse Kaffee einzuladen, obwohl sie damals eigentlich keinen Kaffee mehr trank.
Das lag an Manfred, der hatte trotz seines kurzen Verweilens in ihrem Leben deutliche Spuren hinterlassen. Er war ein Öko-Freak und ernährte sich ausschließlich von Gemüse und Milchprodukten von Bio-Bauern – Fleisch aß er unter keinen Umständen, höchstens mal eine Currywurst. Von Manfred angeregt, besuchte sie Fortbildungskurse der Volkshochschule über gesunde Ernährung, und eines Tages machte es bei ihr Klick. Sie beobachtete nun bewusst im Krankenhaus die abschreckenden Beispiele von kranken und übergewichtigen Leuten, die sich weigerten, frisches Gemüse zu essen. Sie ging seltener zu McDonald’s, und wenn sie es tat, bestellte sie einen Salat zu ihrem Burger. Sie trank zum Frühstück keinen Kaffee mehr, sondern Kräutertee, und zum Mittagessen genügten ihr meistens Obst und Gemüse. Auch heute hatte sie das Mittagessen in der Kantine ignoriert, sie freute sich auf die Mischung aus geraspelten Äpfeln und Möhren zu Hause.
Der Sommer war die Zeit des Jahres, die sie am meisten genoss. Die Hitze, die seit einigen Tagen herrschte, fand sie erträglich, nur gegen Mittag versuchte sie, die pralle Sonne zu meiden. Wegen ihres Schichtdienstes hatte sie Zeit, am Nachmittag ins Schwimmbad zu gehen und ihre Bräune zu pflegen. Leider trübte das unerklärliche Verschwinden ihrer Mutter ihre Freude an dem schönen Wetter. Deren Abwesenheit hing ganz bestimmt mit einem Mann zusammen, und Anja hätte gern gewusst, wer dieser Mann war und wo er lebte.
Nach ihrer Versöhnung mit Burt Brenner, einigen Nächten der Leidenschaft und Wochen des Zögerns, hatte Anja eingewilligt, mit ihm zusammenzuziehen. Dennoch schloss sie in ihrem Herzen nicht aus, dass eines Tages ein Traumprinz vorbeireiten könnte, um sie auf einem weißen Ross zu entführen – oder, noch besser, in einem weißen Mercedes-Cabriolet.
Kurz vor dem Ortsschild von Großgoltern klingelte ihr Handy. Sie griff nach der Handtasche auf dem Sitz neben ihr und versuchte, sie mit einer Hand zu öffnen. Sie wusste, dass es nicht erlaubt war, im Auto mit dem Handy zu telefonieren, aber sie war noch nicht dazu gekommen, sich eine Freisprech-Anlage einbauen zu lassen – und ziemlich teuer war so etwas auch. Für einen kurzen Moment verlor sie die Kontrolle über ihren Wagen, geriet auf die Gegenfahrbahn und kam ins Schleudern. Nach einer Schrecksekunde gewann sie die Gewalt über das Fahrzeug zurück und war rechtzeitig auf der richtigen Seite der Landstraße – gerade bevor ihr ein Auto entgegenkam. Der Fahrer tippte sich an die Stirn und schrie etwas in ihre Richtung, was sie nicht verstehen konnte. »Blödmann«, schrie sie zurück und ärgerte sich über die Aggressivität der männlichen Autofahrer.
»Wenn du dich an die Höchstgeschwindigkeit gehalten hättest, wäre es nicht so knapp geworden«, schimpfte sie hinter ihm her.
Endlich hatte sie ihr Handy ausgegraben.
»Hallo«, meldete sie sich.
Danach: »Ach, du bist es. Was gibt es?«
Einige Sekunden später: »Was will der denn hier?«
Sie hörte eine Weile zu.
»So früh schaffe ich es nicht. Ich muss vorher noch zum Friseur.«
Sie machte ein unwilliges Gesicht, während sie zuhörte. Dann schnitt sie ihrem Gesprächspartner das Wort ab.
»Natürlich könnte ich den Termin verschieben, wenn ich wollte. Aber ich will nicht. Er hätte ja vorher anrufen können. Sag ihm, ich bin um halb drei beim Haus.«
Sie kam zum Schluss: »Ich muss jetzt auflegen. Da vorn steht eins von euren hässlichen blau-weißen Autos, grün-weiß fand ich schöner. Wenn die sehen, dass ich nur mit einer Hand fahre, bekomme ich noch einen Strafzettel. Tschüss und Kuss.«
Die Ankunft von Kommissar Marder beunruhigte sie. Einerseits war sie froh, dass sich jemand um die Abwesenheit ihrer Mutter kümmerte, andererseits hatte sie nicht damit gerechnet, dass deswegen gleich die Kriminalpolizei anrücken würde. Sie wusste, dass Kommissar Marder im Ruhestand war, aber auch, dass er früher beim Morddezernat
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