Ueber Den Deister
gegen PCs, darüber hat auch Burt im Büro ständig geklagt, und meine Mutter hatte nach seinem Tod erst recht keinen Bedarf dafür. Sie hat lieber telefoniert als E-Mails geschickt, und das Internet hat sie nicht interessiert.«
»Das ist schade. Es ist oft so, dass Leute dem Computer mehr anvertrauen als ihren nächsten Verwandten.«
Der Kaffee, den Anja aufgebrüht hatte, besaß die Mischung aus Milde und Geschmack, die Marder schätzte. Jeder Mensch hat seine Gaben, andere glücklich zu machen, dachte er.
»Können Sie mir etwas mehr über Ihre Mutter erzählen, Frau Matuschek? Vor allem über die Zeit nach dem Tod Ihres Vaters. Vielleicht lässt das Schlüsse zu, wo sie sein könnte?«
»Ach, wissen Sie, nach dem Tod meines Vaters stand die ganze Familie erst einmal unter Schock. Wenn wir gewusst hätten, dass er es mit seiner Drohung ernst meinte, hätten wir natürlich alles getan, um ihn davon abzubringen. Ich jedenfalls habe mir hinterher große Vorwürfe gemacht. Meine Mutter sicherlich auch.«
Das klingt wie eine Pflichtübung, dachte Marder. Sie war nicht einmal bei dem Begräbnis ihres Vaters. Er zweifelte daran, dass Anja meinte, was sie sagte. Er formulierte seine Frage neu.
»Also, nach dem Tod Ihres Vaters, was hat sich da für Ihre Mutter verändert?«
Vera brauchte für ihre Antwort länger, als Marder es erwartete. Mutter und Tochter wohnten in derselben Stadt, aber sie führten offensichtlich getrennte Leben. Sie informierten einander nicht über die Abenteuer oder die Langeweile, die ihren Alltag ausmachte.
»Im Großen und Ganzen nicht viel. Sie hat ja schon in der Zeit, als mein Vater noch da war, sehr für sich gelebt. Direkt nach dem Tod musste sie eine Menge erledigen: Mit dem Beerdigungsinstitut wegen dem Begräbnis, dann mit dem Anwalt wegen dem Erbe, aber das lief alles ziemlich glatt, weil sie die Alleinerbin war, und dann war sie noch ein paar Mal auf dem Kommissariat.«
»Auf dem Kommissariat, was hatte sie denn dort zu tun? Ihr Vater war doch schon seit über einem Monat im Ruhestand,
als er starb.«
Marder vermied es, von Selbstmord zu sprechen.
»Was sie dort zu bereden hatte, weiß ich nicht, Herr Kommissar. Sie erwähnte nur einmal, dass Kommissar Volkert sie sprechen wolle.«
»Wenn ich Sie richtig verstehe, war sie mehrfach bei der Kriminalpolizei. Sie haben gesagt ›ein paar Mal‹.«
»Wie oft sie dort war, weiß ich nicht genau, auf jeden Fall aber mehr als einmal. Als dann Burt den Job als Leiter des Dezernats übernahm, hatte sich wohl alles erledigt, dann war sie nie wieder dort. Mit ihm hat sie sowieso nichts im Sinn.«
Marder schenkte sich eine zweite Tasse ein. Kekse gab es vermutlich in diesem verlassenen Haus nicht.
»Was hat Ihre Mutter gegen Herrn Brenner?«
»Sie hält ihn nicht für die richtige Partie für mich. Von Leuten, die bei der Kripo arbeiten, hat sie nach den Erfahrungen mit meinem Vater die Nase voll. Das lässt sie mich hin und wieder wissen. Burt ahnt nicht, dass meine Mutter so wenig von ihm hält, und ich sehe nicht, warum ich ihm das erzählen sollte.«
Danach wiederholte Anja, was Marder bereits bekannt war: dass sie keine Ahnung hatte, mit wem ihre Mutter befreundet sei, dass sie aber ziemlich sicher war, dass es einen Freund gab, den ihre Mutter regelmäßig für ein paar Tage besuchte, aber dass sie darüber leider nie etwas Konkretes erzählte, genau genommen, nicht einmal etwas Unkonkretes. Dann betonte Anja noch einmal, sie wundere sich selbst darüber, dass sie sich so große Sorgen um ihre Mutter machte.
»Ich würde wirklich gern wissen, wo sie jetzt steckt.«
Anja sah unglücklich und hilflos aus. Vielleicht waren ihre Gefühle für ihre Mutter tiefer, als sie es zugeben wollte, überlegte Marder. Beziehungen zwischen Müttern und Töchtern sind nicht unbedingt auf Logik gegründet. Er hatte nicht viel Neues erfahren, nichts, woraus er schließen konnte, wo Vera Matuschek sich aufhalten könnte.
»Ich erinnere mich, dass Ihre Mutter früher Tennis gespielt hat. Tut sie das noch?«
»Nein, kurz nach dem Tod meines Vaters ist sie aus dem Club ausgetreten. Ich bin mir sicher, dass sie seitdem nie wieder dort gewesen ist, weil sie über die Leute im Verein nur noch gelästert hat.«
Als Marder das Haus von Vera Matuschek verließ, war der Himmel dunkel, als sei die Sonne untergegangen. Dabei war es gerade erst vier Uhr am Nachmittag. Über dem Deister versperrte eine große schwarze Wolke den Sonnenstrahlen den Weg
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