Ueber Den Deister
auf die Erde.
Kapitel 6
Unter der drohenden Wolke war die Luft heiß und schwül. Marder hatte das Gefühl, in einer Sauna zu schwitzen. Von einem auf den anderen Moment explodierte der Himmel, Wasser stürzte auf die Erde. Ein regelrechter Deichbruch aus den Wolken, in wenigen Sekunden war alles triefend nass. Wo vorher Trockenheit und Hitze waltete, herrschte nun Nässe und Hitze.
Dann war auch das vorbei.
Die Sonne brannte wieder, unbarmherziger als zuvor. Als wolle sie sich für den Wasserfall entschuldigen, legte sie noch ein paar Grad zu. Die schwarze Wolke, jetzt ein dunkles Grau, zog über das Calenberger Land nach Osten, in wenigen Minuten würde sie Hannover in eine Stadt am Strom verwandeln.
Der Regen hatte keine Chance gehabt, in die trockene und harte Erde einzudringen, die Pflanzen würden davon nur wenig profitieren. Das Wasser floss auf der Straße am Hang zum nächsten Schacht der Kanalisation und fiel in die Unterwelt, aus den Gärten schwemmte es loses Erdreich in das Land zu Füßen der Hügel. Der Regen hatte die Blätter der Büsche und Bäume gewaschen, wodurch die Pflanzen ein trügerisch frisches Aussehen erhielten. Das hohe Gras vor dem Haus der Matuscheks war platt geregnet, es würde sich nicht wieder aufrichten, dazu war es zu alt und zu kraftlos, die nächste Generation von Halmen lauerte bereits auf den Durchbruch.
Marder wartete einige Minuten unter dem Vordach der Haustür, dann machte er sich auf den Weg zu der Pension »Marianne«, die nur einen kurzen Spaziergang entfernt lag. Er wollte seine Füße für eine Weile auf der Veranda hochlegen und seinen nächsten Schritt planen.
Hatte ihm der Besuch im Haus von Vera Matuschek weitergeholfen? Er hatte ein unbestimmtes Gefühl, etwas gesehen zu haben, was ihm einen Hinweis geben wollte. Er war durch das Haus gelaufen, ohne zu wissen, was er suchte, und hatte es deshalb nicht erkennen können, als er es gefunden hatte. Es würde ihm zu einem späteren Zeitpunkt einfallen – als Kriminalist hatte er ähnliche Situationen oft genug erlebt. Er musste verhindern, darüber nachzudenken, dann würde sich sein Unterbewusstsein irgendwann melden und ihm sagen, was er verpasst hatte. Dann würde er Zusammenhänge verstehen, die noch im Verborgenen lagen.
Er erkundigte sich bei der Auskunft nach der Telefonnummer von Christian Neuberger. Nach dem Tod von Alfred Matuschek hatte er mit Neuberger sprechen wollen, weil Vera Matuschek bei einer Unterhaltung andeutete, dass Neuberger ein Mann war, der sie interessierte. Das Gespräch mit Neuberger war dann aber überflüssig geworden.
»Neuberger«, meldete sich eine weibliche Stimme. Das musste Frau Neuberger sein, vielleicht die Tochter. Marder erklärte, dass er gern mit Herrn Christian Neuberger sprechen würde, und versuchte, wie ein Geschäftsmann zu klingen, dessen Anruf erwartet wurde. Er wollte nicht preisgeben, dass er von der Kriminalpolizei war. Die Stimme ließ ihn wissen, dass ihr Mann beim Tennisspielen sei und sicherlich im Verein »Rot-Grün« zu erreichen sei. Neuberger war also verheiratet.
»Danke«, sagte Marder.
Die Sandplätze des Vereins leuchteten rot in der Sonne; die Bäume und Büsche, die das Gelände wie eine grüne Wand umgaben, schirmten das Gelände gegen die Stadt und den Rest der Welt ab. Die Anlage lag am Rand des Ortes, die Hügel des Deisters begannen hier ihren sanften Anstieg. Marder durchquerte die Gaststube des Vereinslokals, um zu der Terrasse zu kommen, von der man die Spielfelder überblicken konnte. Sechs ältere Herren saßen um einen Tisch. Sie trugen Tenniskleidung, tranken Bier und diskutierten laut. Sie warteten offensichtlich darauf, dass die Wasserlachen auf den Plätzen austrockneten. Auf den hinteren Plätzen der Anlage wurde schon gespielt, dieser Bereich lag in der prallen Sonne, hier war das Wasser, das der Wolkenbruch ausgeschüttet hatte, bereits verdampft.
Marder fragte in die Runde: »Entschuldigen Sie, ist jemand von Ihnen Christian Neuberger?«
»Nein«, antwortete einer der Herren. »Der spielt dort hinten auf Platz vier. Das ist der im roten Hemd. Soll ich ihn rufen?«
»Nicht nötig, lassen Sie ihn spielen. Es eilt nicht. Ich warte, bis er fertig ist.«
Marder bestellte ein Alsterwasser und setzte sich an den freien Tisch neben der Männerrunde. Der Platz, auf dem Christian Neuberger spielte, lag ungefähr sechzig Meter entfernt. Er konnte das Gesicht des Mannes nicht erkennen, Marder schätzte ihn auf Mitte fünfzig,
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