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Ueber Den Deister

Ueber Den Deister

Titel: Ueber Den Deister Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Teltscher
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ich kein Richter geworden bin, dachte der pensionierte Kommissar. Ich würde diesen Angeklagten in meinem Herzen verurteilen, bevor er eine Chance hat, sich zu verteidigen. Dabei war Volkert doch, genau wie er selbst, ein Mann, der der Gerechtigkeit diente. Warum habe ich eine derart negative Einstellung ihm gegenüber? Er hat mir nichts getan, und es gilt zu Recht die Regel, dass alle Menschen unschuldig sind, bis das Gegenteil bewiesen ist.
    Wie würden sich Vera und Volkert die Zeit in ihrem Ferienhaus in Schweden vertreiben? Sex war bestimmt ein Teil davon, aber in ihrem Alter konnte das nicht den ganzen Tag und dann noch die Nacht in Anspruch nehmen, schon gar nicht eine Woche lang. Sie müssen Dinge gemeinsam unternehmen, sonst würden sie sich nicht in die Einsamkeit Skandinaviens zurückziehen. Rad fahren, auf einem See he rumpaddeln, wandern, Museen besuchen, essen gehen … Alles schön und gut, aber sie mussten auch miteinander sprechen. Worüber unterhielten sie sich, wenn sie abends in ihrem Ferienhaus saßen und darauf warteten, dass es Schlafenszeit wurde? Welche Themen gab es, die beide genug interessierten, um damit Tag um Tag auszufüllen? Marder wusste es nicht. Er ließ die Fragen unbeantwortet, erst musste er Vera finden, vielleicht waren dann keine Antworten mehr nötig.
    Auf der Landstraße hatte er von dem höchsten Punkt im Deister einen freien Blick nach Norden. Von hier bis zur Nordseeküste erstreckte sich flaches Land, abgesehen von den lächerlichen Geesthügeln im Süden von Hamburg. Irgendwo hinter dem Horizont lag Stade, seine Stadt. Morgen Nachmittag werde ich wieder zu Hause sein, freute er sich.
    An seinem letzten Vormittag in Barsinghausen war er mit einem Mann verabredet, an den er seltsamerweise seit seiner Ankunft kaum gedacht hatte: Knut Wotowski. Wotowski hatte ihm bei der Aufklärung von Matuscheks Tod geholfen, ohne es zu beabsichtigen. Er war der einzige Bekannte des ehemaligen Kommissars, der nicht zur Polizei oder seiner Familie gehörte, den Marder damals gefunden hatte. Zuerst hatte Marder ihn verdächtigt, er könnte in den Tod Matuscheks verwickelt sein, weil er ihm einen nennenswerten Betrag geschuldet hatte. Doch dann hatte sich herausgestellt, dass Wotowski der einzige Mensch war, den man annähernd als Freund von Matuschek bezeichnen konnte.
    Wenn ich erst wieder zu Hause bin, werde ich die Familie Matuschek nicht vermissen, dachte Marder. Vera Matuschek und ihre rätselhafte Abwesenheit gingen ihm inzwischen auf die Nerven. Er war in diesem Moment überzeugt, dass ihr Ausbleiben nur das Versteckspiel einer eitlen Frau war, die sich keine Gedanken darüber macht, dass sie damit anderen Menschen Sorge bereitete.
    Auf seinem Weg zu Knut Wotowski ging Marder noch einmal an Veras Haus vorbei. Er blieb am Gartenzaun stehen.
    Ein starkes Gefühl von Traurigkeit überkam ihn, doch er hatte keine Ahnung, woher dieses Gefühl kam. Seine Vorverurteilung von Vera schien ihm nun ungerechtfertigt und oberflächlich. Plötzlich ergriff ihn die Furcht, dass Vera etwas Schlimmes, vielleicht sogar etwas Entsetzliches passiert sein könnte. Andererseits war es möglich, dass seine Traurigkeit überhaupt nichts mit dem Schicksal von Vera Matuschek zu tun hatte. Vielleicht rührte sie daher, dass die Büsche, Blumen und Kräuter vor dem Haus dem Sterben nahe waren? Die Hitze der vergangenen Tage hatte sie austrocknen und verdörren lassen, zum Überleben brauchten sie dringend Wasser. Marder öffnete die Gartentür und betrat den Garten. Er fand eine Gießkanne, entdeckte an der Hinterwand des Hauses einen Wasserhahn und begann, die Blumen zu gießen. Während er zwischen den Pflanzen und dem Wasserhahn hin und her lief, floss Schweiß seinen Rücken hinunter. Er war stolz auf sich und fühlte sich wie ein Pfadfinder, der einer alten Frau über die Straße hilft. Als er beim Verlassen des Grundstückes feststellte, dass einige der Blumen und Kräuter bereits auf die Wasserkur zu reagieren schienen, freute er sich.
    Marders nächste Station war der See in dem kleinen Park, in dem Matuschek ertrunken war. Der Teich war an drei Seiten von Zäunen und Hecken umgeben, an der Vorderseite verlief eine Straße. Auf der anderen Straßenseite sah er das Rathaus, das sich nicht entscheiden konnte, ob es ein altes Fachwerkhaus mit einem modernen Anbau oder ein modernes Gebäude mit einem alten Fachwerkflügel sein wollte. Die Sporthalle daneben gab sich bescheiden als kunstloses zweckgebundenes

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