Ueber Den Deister
Bauwerk, das auf seine Renovierung wartete. Marder hatte, wie bei seinen Ermittlungen im vorletzten Jahr, das Gefühl, dass dieser See irgendwie nicht zur Stadt gehörte, obwohl er unmittelbar an das Zentrum grenzte. Hier hatte sich ein Drama abgespielt, das niemand mitbekommen hatte, obwohl ständig Menschen in der Nähe sein mussten.
Der Kommissar machte eine kurze Pause, setzte sich auf eine Bank und dachte an seinen ehemaligen Kollegen und dessen ungewöhnlichen Tod. Dabei schaute er den Enten zu, die im Schlamm nach Grünzeug wühlten – zu erledigen oder zu ermitteln gab es für ihn hier nichts. Plötzlich überkam ihn die Vorstellung, dass Vera Matuschek aus Verzweiflung über den Selbstmord ihres Mannes in diesen Teich gegangen war, um ihm in den Tod zu folgen. Er wusste im gleichen Moment, dass dieser Gedanke absurd war, so absurd, dass er auflachen musste. Aber dennoch, manchmal kam das Abstruse der Wahrheit am nächsten. Nein, versicherte er sich noch einmal, Vera auf dem Boden dieses Sees zu finden ist absurder als absurd, in diesem See werde ich sie erst suchen lassen, wenn alle anderen Spuren ins Leere laufen.
Marder war mit Wotowski in einem Café verabredet, in dem er schon vor zwei Jahren gelegentlich gesessen hatte. Wegen seiner Rettungsaktion an den durstigen Pflanzen in Veras Garten und dem Besuch am Teich war er ein wenig verspätet. Das Café war seit seinem letzten Besuch in ein anderes Gebäude in der Fußgängerzone umgezogen, hatte sich erheblich vergrößert und sein Angebot um Eis und Eisbein erweitert. Die meisten Besucher hatten sich wegen der Hitze für einen Eisbecher entschieden. Wotowski nicht, vor ihm stand ein Cappuccino. Marder erkannte den Mann beinahe nicht wieder, von dem Menschen, den er vor zwei Jahren getroffen hatte, war wenig übrig geblieben. Wotowski wirkte runderneuert: Das Haar frisch gewaschen und getrimmt, früher hing es in ungeordneten Strähnen um seinen Kopf; ein Hemd mit dem Emblem eines bekannten Designers um schmeichelte seinen Körper, früher trug er schmuddlige T-Shirts; seine Figur wirkte muskulös und beinahe sportlich, früher hatte sein Gewicht gut zwanzig Kilo über dem Idealmaß gelegen; sein Gesicht wirkte markant und lebendig, früher hatte es verlebt ausgesehen.
Marder holte sich am Tresen einen Milchkaffee, dazu ein Stück Mohnstrudel, zahlte beides an der Kasse und setzte sich zu Wotowski.
»Ich hätte Sie fast nicht erkannt, Herr Wotowski.«
»Ich Sie aber sofort, Herr Kommissar. Der Ruhestand scheint Ihnen gut zu tun. Sie sehen um nichts älter aus als vor zwei Jahren, dabei noch genauso dienstlich wie damals. Einmal Beamter, immer Beamter.«
Wotowski hatte seinen Humor und seine Neigung zu lockeren Sprüchen nicht verloren, trotzdem wirkte er nicht mehr so aggressiv wie in der Vergangenheit.
»Aber Sie haben sich verändert, Herr Wotowski, das wissen Sie sicherlich selbst am besten. Was ist geschehen?«
»Genau genommen ist in meinem Leben nichts mehr so wie vor zwei Jahren. Ich hatte Ihnen damals erzählt, dass ich mein Restaurant schließen wollte. Die Leute wussten einfach nicht die gute deutsche Küche zu schätzen, auf die ich mich spezialisiert hatte. Guter Geschmack ist halt nicht jedermanns Sache.«
»Ja, ich weiß, Sie wollten Ihr Haus an eine Supermarktkette vermieten, die dort eine Filiale einrichten wollte. Sagten Sie nicht, dass es mehrere Ketten gab, die interessiert waren?«
»Das stimmt schon, die Ketten waren alle interessiert. Aber keine war bereit, das zu bezahlen, was ein fairer Preis gewesen wäre. Da habe ich mich eben mit ein paar jüngeren Leuten zusammengetan, und wir haben ein Fitnessstudio in den Räu
men von Knuts Gute Stube eröffnet.«
»Wie sind Sie denn an die gekommen?«
»Das waren die Leute, die schon vorher eine Massagepraxis im ersten Stock über meinem Restaurant hatten. Die wollten sowieso in das Fitnessgeschäft einsteigen. Als sie hörten, dass ich meine Gaststube zumachen wollte, standen sie sofort auf meiner Matte. Sie meinten, von den lächerlichen Krankenkassensätzen für Massagetherapien konnten sie kaum die Miete zahlen, und die Gesundheitsreform würde ihnen den Rest geben. Sie würden gern ein Fitnesscenter eröffnen, und ob ich nicht einsteigen wolle. Da haben wir uns zusammengetan und das ganze Haus in ein Fitnessstudio umgewandelt … ich meine ein … also … in ein Wellness-Center.«
»Was ist denn der Unterschied zwischen einem Fitnessstudio und einem
Weitere Kostenlose Bücher