Ueber Den Deister
Leben ein Ende setzte. Aber wie konnte er überprüfen, ob Vera die Wahrheit sagte?
Plötzlich wusste er, was er zu tun hatte. In der letzten Stunde, während seines Spazierganges durch die Stadt und den Park, hatte er nicht an Vera gedacht – das hatte seinem Unterbewusstsein die Chance gegeben, ungestört zu arbeiten. Nun meldete es sich. Es sagte ihm, er könne zwar nicht direkt überprüfen, ob Vera die Wahrheit über die Ereignisse am See erzählt hatte, aber er könne wahrscheinlich feststellen, ob sie die Wahrheit über Volkerts verzweifelte Liebe zu seiner ehemaligen Frau gesagt hatte. Wenn es diese Verzweiflung nicht gab, dann konnte auch die Geschichte vom Selbstmord aus Liebeskummer nicht stimmen.
Seine Freundin bei der Kripo in Holzminden nahm sofort den Hörer ab, als er sie anrief.
»Bistorf-Kuntze.«
»Guten Tag, Frau Bistorf-Kuntze, hier ist Marder, können Sie mich noch ertragen?«
»Ich dachte mir schon, dass wir uns noch nicht das letzte Mal gesprochen haben, Herr Marder. Worum geht es dieses Mal?«
»Natürlich wieder um Volkert – und um seine geschiedene Frau.«
»Das ist ein faszinierendes Thema. Was möchten Sie darüber wissen?«
»Frau Matuschek hat mir erzählt, dass Volkert seine Frau leidenschaftlich geliebt habe, unter der Scheidung litt und sich innerlich nicht von ihr lösen konnte.«
»Dass ich nicht lache, einer von den beiden hat da das Blaue vom Himmel herunter gelogen. Entweder Volkert gegenüber Frau Matuschek oder Frau Matuschek Ihnen gegenüber.«
Frau Bistorf-Kuntze fing an zu lachen, eher verächtlich als humorvoll.
»Können Sie konkreter werden? Ich würde gern mitlachen.«
»Kann ich. Viel konkreter.«
»Bitte tun Sie es.«
»Also, ich kenne die frühere Frau Volkert, geborene Petra Marinke, ziemlich gut. Wir gehören seit mehreren Jahren zu einer aktiven Literaturgruppe, die sich jede Woche zu dem Versuch trifft, große Poesie zu produzieren.«
»Bei meinem nächsten Besuch in Holzminden werde ich darauf bestehen, mir Ihre Gedichte anzuhören. Also, wie war das mit der Scheidung der Volkerts?«
»Die lautere Wahrheit ist, dass die Scheidung ausschließlich auf Betreiben von Volkert lief. Einer der Gründe war wohl, dass Petra nicht alle seine Neigungen teilte. Das hat sie mehrmals angedeutet, aber leider keine Einzelheiten erzählt. Deswegen hatte er wohl schon früh in der Ehe wechselnde Verhältnisse nebenher. Das hat Petra zwar gewusst, hat es aber hingenommen, weil sie wohl immer gehofft hat, dass Volkert sich irgendwann ausgetobt hätte. Sie gehört eben nicht zu den emanzipierten Frauen. Die Scheidung war allein Volkerts Wunsch, er wollte sie unbedingt loswerden. Er hat auch hinterher nie versucht, sie zurückzugewinnen. Also, diese Geschichte über seine unerfüllte Sehnsucht nach seiner Frau ist total aus der Luft gegriffen.«
»So etwas dachte ich mir schon.«
»Ich hatte ja keine Ahnung, dass Sie so an schmutziger Wäsche interessiert sind.«
Ein weiteres Lachen, nun wohlwollend, kam durch die Telefonleitung. Natürlich wusste Frau Bistorf-Kuntze, dass Marder diese Fragen nicht stellte, um seine Fantasie mit schmutzigen Gedanken zu füttern.
»Warum wollen Sie das wissen, Herr Marder?«
»Weil ich sicher sein möchte, dass Volkert nicht Selbstmord aus verzweifelter Liebe zu seiner früheren Frau gemacht hat.«
Als Marder das sagte, reagierte Frau Bistorf-Kuntze geradezu hysterisch.
»Selbstmord wegen seiner Frau? Das ist der beste Witz, den ich seit Langem gehört habe. Gefeiert hat er nach der Scheidung und jede Frau angemacht, die in seiner Nähe war – auch mich. Aber das hatte ich Ihnen ja schon das letzte Mal erzählt.«
Das Thema Selbstmord hatte sich für Marder erledigt. Er war fest überzeugt, dass Frau Bistorf-Kuntze über Volkert und seine Frau die Wahrheit gesagt hatte. Wenn Unfall und Selbstmord nicht der Grund für Volkerts Tod war, dann blieben nur noch Mord und Totschlag. Das traute er Vera Matuschek zu. Sie hatte zweimal gelogen, als sie Volkerts Tod beschrieb, außerdem hatte sie skrupellos seine Leiche entsorgt. So ein Mensch ist wahrscheinlich auch kaltblütig genug, um jemanden aus dem Leben zu befördern.
»Wie heißen Sie eigentlich mit Vornamen, Frau Bistorf-Kuntze?«
»Inge.«
»Ich heiße Manfred.«
Kapitel 2 3
Die Stadt berührte ihn kaum. Hannover war nicht die seine, obwohl es die Hauptstadt des Bundeslandes war, in dem er lebte. Seine Stadt war Hamburg, und Stade gehörte zu dem Umfeld dieser Freien
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