Ueber Den Deister
Wasserhahn abspülte.
»Wie war es dann?« Marder setzte sich wieder Vera gegenüber. »Selbstmord. Es war Selbstmord. Volkert hat sich selbst
umgebracht.«
»Warum soll ich Ihnen das glauben? Möglicherweise ist auch das nur ein Ersatz für die Wahrheit, so wie die Geschichte mit dem Unfall.«
»Nein, nein, es war wirklich Selbstmord.« Ihre Hände lagen wieder ruhig in ihrem Schoß. Diese Frau hat eine unglaubliche Fähigkeit, sich zu regene
rieren, dachte Marder, sie ist wieder konzentriert genug, um mir eine neue Geschichte aufzutischen. Auch die wird wahrscheinlich nicht stimmen, aber ich muss Vera reden lassen, damit sie überhaupt mit mir spricht, vielleicht bringt es uns der Wahrheit näher.
»Erzählen Sie.« »Da muss ich ein bisschen ausholen.« »Holen Sie aus.« »Als ich Volkert kennenlernte, war er ein sehr unglücklicher
Mensch. Seit der Scheidung von seiner Frau war er deprimiert und hatte kaum noch Freude am Leben. Deswegen war er so negativ und zynisch allen gegenüber, als er nach Barsinghausen kam. Er hat seine Frau sehr geliebt und konnte nicht verschmerzen, dass sie ihn verlassen hatte. Deswegen hatte er nichts dagegen, für einige Monate in eine fremde Stadt ver
setzt zu werden. Er wollte einen neuen Anfang machen.«
»Und Sie waren Teil des Neuanfangs.«
»Ja, so muss man es wohl sehen. Aber während der ganzen Zeit, die wir uns kannten, hat er sich innerlich nie von seiner Frau lösen können. Ganz egal, wie oft er zu mir gesagt hat, dass er mich mag, er hat nie gesagt, dass er mich liebt. Das Wort ›Liebe‹ war für seine Frau reserviert, obwohl sie sich von ihm getrennt hatte.«
Vera stand auf, ging in die Küche, öffnete die Tür des Kühlschranks und holte eine Packung Milch heraus, die sie neben die Schüssel Cornflakes stellte.
»Warum sind Sie dann mit ihm in das Ferienhaus nach Schweden gefahren?«
Sie öffnete die Packung und goss Milch über die Cornflakes, die wie lose Blütenblätter auf der Flüssigkeit schwammen.
»Weil ich dachte, das wäre die letzte Chance für uns. Wenn wir längere Zeit beisammen wären, würde er vielleicht über seine Frau hinwegkommen. Wir haben in der Woche viel miteinander geredet, auch … nein, vor allem über seine geschiedene Ehe. Dabei habe ich deutlich gemerkt, dass er nicht von seiner Frau loskam. Am Abend vor unserer Rückreise sind wir noch einmal mit dem Ruderboot auf den See hinaus gefahren, wie ich es Ihnen schon erzählt habe. Als wir mitten auf dem See waren, hat er mir gesagt, dass er mich heiraten wollte.«
Hatte er irgendetwas Wichtiges verpasst? Marder war verwirrt. Warum sollte Volkert einer Frau, die er nicht liebte, einen Heiratsantrag machen?
Vera Matuschek löffelte Cornflakes aus der Schüssel und schob sie in den Mund. Als sie darauf kaute, knirschten die knackigen Flakes zwischen ihren Zähnen. Marder fand das unappetitlich, vor allem in einem Moment, in dem es um die Schilderung eines tragischen Todes ging.
»Sie schauen ungläubig, aber so war es tatsächlich. Er hatte endlich eingesehen, dass seine Frau nie wieder zu ihm zurückkommen würde. Da hat er sich wohl gesagt, in diesem Fall wäre eine Ehe mit mir eine akzeptable Alternative. Dass er so dachte, habe ich genau gespürt. Unter anderen Umständen hätte ich ihn geheiratet, aber als Lückenbüßerin bin ich mir zu schade. Das habe ich ihm gesagt. Er hat nicht einmal abgestritten, dass es so war. Er meinte dann, sein ganzes Leben mache nun keinen Sinn mehr. Da ist er im Boot aufgestanden und hat gesagt, er würde ins Wasser springen und sich umbringen.«
Als sie die Szene schilderte, war Vera aufgestanden, so wie es Volkert ihren Worten nach getan hatte. Sie glaubte vermutlich, wenn auch unbewusst, ihre Schilderung damit überzeugender zu machen.
»Ich erwiderte, dass ich nicht glaube, dass er sich wirklich umbringen würde. Ob Volkert schwimmen konnte, wusste ich nicht, wir hatten in der Woche nie im See gebadet, nur gelegentlich an seichten Stellen oder vom Bootssteg die Füße ins Wasser gehalten. Dann habe ich zu ihm gesagt, dass es gar nicht so einfach ist, sich selbst zu ertränken, wenn man schwimmen kann.«
»Aber es ist ihm gelungen zu ertrinken?«
»Ja, er meinte, er wisse von Berufs wegen, wie man das machen müsse. Man muss ganz tief ausatmen, bis keine Luft mehr in der Lunge ist, und dann mit offenem Mund ins Wasser springen. Ich habe immer noch nicht geglaubt, dass er es ernst meinte. Da ist er einfach gesprungen.«
»Einfach
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