Ueber den gruenen Klee gekuesst - Roman
grünen Wiesen an mir vorbeiziehen und werde glatt ein wenig melancholisch. Bald werden mein einziger Ausblick wieder die Büros im Hochhaus gegenüber sein – wenn es mit dem Job überhaupt klappt.
Ich habe mich mit Colin an der Campanile verabredet – an dem Glockenturm, durch dessen Torbogen man den Campus des Trinity College erreicht. Der gepflegte Sandweg, die Wiesen, die Bäume, die altmodischen Straßenlaternen lassen eigentlich Kutschen erwarten. Oder zumindest Studenten in wehenden schwarzen Umhängen, die in fließendem Latein die weltweite Machtübernahme einer intellektuellen Elite planen. Nichts dergleichen. Sie tragen größtenteils stinknormale Sneakers und Pullis. Aber ich frage mich, ob an meinem Kostüm etwas nicht stimmt. Immer mal wieder raunt ein Student einem anderen etwas zu, deutet beschwörend in meine Richtung und schon machen alle einen Riesenbogen um mich. Da sehe ich endlich Colin auf mich zueilen. Er lächelt fröhlich, als er mich sieht. Das
stürzt mich nun doch in Verlegenheit, wo ich selbst nur die Freundliche spielen werde, weil ich etwas von ihm will. Ich darf bloß nicht vergessen, dass er ein Schwein ist. Du schuldest ihm nichts, sage ich mir und fange einfach so an vor mich hin zu plappern.
»Keine Sorge, an dir ist nichts Furchterregendes«, unterbricht er meine umständliche Zusammenfassung der letzten zehn Minuten. »Die Studenten sind auch nicht dir ausgewichen, sondern dem Torbogen, vor dem du stehst. Es gibt den Aberglauben, dass Erstsemester durch ihre Prüfungen fallen, wenn sie durch dieses Tor gehen.«
Hm, ach so, na dann.
»Worum ging es denn eigentlich, Louisa? Du hast so geheimnisvoll geklungen.«
Ich erzähle von dem Gedichtband und verschweige, dass ich glaube, dass seine Familie irgendwie in dieser Geschichte mit drinhängt.
»Aber ich kann mit manchen Teilen und Wörtern nichts anfangen. Die scheinen auf irische Geschichten anzuspielen. Und weil ich mich damit überhaupt nicht auskenne ...«
Ich überreiche ihm das Buch. Neugierig schaut er es an.
»Wenn du magst, kann ich mir noch eine Stunde Zeit für dich nehmen. Dann gucken wir es uns in meinem Büro mal gemeinsam an.«
Ich schüttele den Kopf.
»So viel Zeit habe ich leider nicht mehr. Ich dachte, ich komme so in einer Woche noch mal vorbei. Es wäre toll, wenn dir etwas auffällt«, sage ich dann hastig und versuche zu lächeln. Es kommt mir ein bisschen dreist vor, ihm bloß ein Buch in die Hand zu drücken, mit dem er sich beschäftigen soll, und dann einfach zu verschwinden. Aber
ich will so schnell wie möglich raus aus dieser peinlichen Situation.
»Aber du hast sicher noch Zeit, einen kurzen Blick in die Bibliothek zu werfen. Die musst du gesehen haben, wenn du schon mal hier ist. Zumindest sind die meisten Besucher irre beeindruckt. Sogar ich bin es manchmal noch, und ich bin jeden Tag hier.«
Jetzt hat er mich. Einer Bibliothek konnte ich noch nie widerstehen. Und von der hier habe ich natürlich schon gehört. Sie ist weltberühmt. Und ein ganz kurzer Blick kann ja wirklich nicht schaden. Das gebietet schon die Höflichkeit, zumindest ein wenig Interesse für seine Umgebung zu zeigen, wo er sich doch für ein merkwürdiges kleines Büchlein interessieren soll, das ich ihm in die Hand gedrückt habe.
»Na gut«, sage ich.
Er lacht und streckt seinen Arm aus, als wolle er sich bei mir unterhaken. Dann hält er inne und lässt den Arm wieder fallen.
Die Bibliothek ist ein Wunder. Es ist die Bibliothek schlechthin. Die Galerien sind voller uralter Bücher, und die Wege werden von Skulpturen berühmter Dichter und Denker geschmückt. Alles ist hier so gepflegt, und die Gänge sind so symmetrisch angeordnet, dass der Saal vom Eingang aus betrachtet wie eine endlose Spiegelung aussieht. Gott, wie gerne würde ich mich durch alle diese Werke wühlen und entdecken, was sich hinter den braun-goldenen Einbänden verbirgt. Es ist so ... überwältigend. So überwältigend, dass mir eine Träne die Wange hinunterrinnt. Na und? Für die einen ist der Inbegriff von Schönheit ein blöder, kitschiger Sonnenuntergang, für mich sind es diese endlosen Bücherreihen.
Nichts wofür man sich schämen muss, sage ich mir trotzig. Ich wische aber trotzdem schnell den Tropfen weg, bevor Colin noch etwas merkt. So eine Blöße möchte man sich vor einem Mann, der seine Studentinnen nötigt, wirklich nicht geben.
Er hat es aber doch gesehen, ich bin mir ganz sicher. Neugierig betrachtet er mich, dann
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