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Ueber den gruenen Klee gekuesst - Roman

Ueber den gruenen Klee gekuesst - Roman

Titel: Ueber den gruenen Klee gekuesst - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jana Seidel
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räuspert er sich. »Alles in Ordnung? Sollen wir wieder gehen?«
    Ich habe das Gefühl, ihm eine Erklärung zu schulden, und höre entsetzt, wie ich losbrabbele und ihm einfach alles erzähle. Ich erzähle zum Beispiel, wie ich in Bibliotheken und Buchhandlungen von diesem komischen Gefühl übermannt werde, dass alles was verborgen zwischen den vielen Buchdeckeln steckt, irgendwie auch gleichzeitig frei im Raum schwebt. Ich meine, eigentlich existiert da natürlich kein Leben. Es sind ja nur schwarze Zeichen auf weißem Grund. Das Leben entsteht erst, wenn es jemand wachruft. Und doch ist es für mich, als hätten Bücher eine Art von Macht. Manche Bücher rufen einem deutlicher zu als andere, dass man sie aufschlagen soll. Und darin gibt es all dieses unfassbare Wissen und all diese Abenteuer – real oder nicht. Und immer wittere ich die Gefahr, die entscheidenden Buchdeckel, diejenigen, deren Inhalt alles verändern würde, nicht aufzuschlagen. So, dass sie tote Buchstaben bleiben. Ich mag dabei vor allem die Aura alter Bücher. Es ist für mich dann so, als seien die Schinken nicht bloß unendlich oft reproduzierte Materie, sondern durch die Hand des vorherigen Nutzers einmalig geworden. Einfach dadurch, dass schon jemand in ihnen gelebt hat. Ich wette, Colin kapiert kein Wort von dem, was ich rede. Tue ich ja selbst auch nicht wirklich. Es klingt alles so schwachsinnig, was ich sage. Aber wie soll
man auch diese diffuse Erregung in Worte fassen, die mich seliger zurücklässt als eine ganze Tafel Schokolade? Vor einer fremden Buchreihe stehend, fühle ich mich wie ein Entdecker in einem vorigen Jahrhundert, der noch das Glück weißer Flecken auf einer Landkarte kannte.
    »Hast du irgendetwas davon verstanden?«
    »Na ja, nicht ganz, muss ich zugeben.«
    Nun, war ja klar. Ich schäme mich in Grund und Boden.
    »Aber ich glaube, ein bisschen verstehe ich es doch. Ich meine, dass man manchmal intensive, geradezu mystische Gefühle mit bestimmten Dingen verbindet, die für andere ganz unscheinbar sind. Du weißt ja, was ich beruflich mache. Und ich behaupte von mir, nicht an Elfen und Fabelwesen zu glauben. Kein bisschen. Aber ich habe so viel über sie gelesen, dass sie in meinen Gedanken natürlich schon oft zum Leben erwacht sind. Und da haben wir schon das Problem: Wenn man etwas frei Erfundenes liest, ist es in dem Moment ja nicht weniger real als etwas, was wir in der Zeitung lesen. Ist ja beides bloß Text. Vielleicht ist das Gehirn davon ja überfordert und erstellt merkwürdige Verknüpfungen. Und wenn ich nun in einem stinknormalen Wald stehe, in dem idealerweise sehr viel Farn wächst und das Licht plötzlich auf eine bestimmte Weise einfällt, dann kann es passieren, dass ich doch mal einen Feenflügel aufblitzen sehe.« Er zwinkert mir zu und verdreht die Augen in gespielter Selbstverachtung. Aber ich weiß, dass er es ernst meint. Und ich verstehe ihn. Natürlich nicht die Sache mit den Farn und so. Grünzeug ist mir ziemlich egal. In meinem Hirn sind es ganz andere Vernetzungen und Erlebnisse, die den Spuk auslösen. Aber ich verstehe die Sache mit dem Gefühl, das einen ganz plötzlich übermannen kann.

    »So als gäbe es mehr als eine Wirklichkeit und als könnte das Leben doch mehr sein«, sage ich.
    Für einen Moment schweigen wir beide verlegen. Und in diesem Augenblick finde ich ihn wahnsinnig attraktiv und bin kurz davor ihm alles zu verzeihen. Rein logisch weiß ich natürlich, warum. Der überraschende Einklang mit einem Fremden kommt einem ja immer irgendwie magisch vor. Diese merkwürdige Mischung aus unerwarteter Vertrautheit und eigentlicher Fremdheit. Mehr ist es nicht. Gut, dass ich das weiß. Und da naht auch schon die Rettung.
    »Hallo, Professor McMurphy«, flötet eine bauchnabelgepiercte Studentin. »Ich habe Sie gerade schon in Ihrem Büro gesucht. Ich hätte da noch eine Frage zur Rezeption des Feenmythos in den Gedichten von Yeats.«
    Neckisch zwirbelt sie dabei an einer Locke. Mich hat sie nicht einmal angesehen.
    Colin lächelt freundlich. »Ich bin gerade im Gespräch, Susan. Sieht man das nicht?«
    Am liebsten möchte ich ihr die Zunge rausstrecken und »Ätsch, Kleines!« rufen, aber das wäre unwürdig. Ich sehe ihr nach, wie sie beleidigt von dannen stapft. Eigentlich sollte ich mich bei ihr bedanken. Immerhin hat sie mich daran erinnert, dass Colin eigentlich auf Studentinnen steht. Wenngleich offenbar nicht auf diejenigen, die ihn ebenfalls heiß finden. Befriedigt

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