Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ueber den gruenen Klee gekuesst - Roman

Ueber den gruenen Klee gekuesst - Roman

Titel: Ueber den gruenen Klee gekuesst - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jana Seidel
Vom Netzwerk:
wohl seinen Jagdtrieb nicht. Ist aber seine private Tragödie. Er soll machen, was er will. Mich interessieren ja nur seine Fachkenntnisse. Aber mal ehrlich: Notenerpressung ist doch das Hinterletzte. Dieser Mistkerl. Wie kann er nur so viel netter und normaler wirken, als alle Typen, die ich sonst treffe? Andererseits wird doch über alle Massenmörder und Kinderschänder gesagt: »Aber er hat
doch so freundlich gelächelt und gegrüßt – wie konnte ich denn wissen, dass er einen abgetrennten Kopf in der Bowlingtasche hatte?« Ich werde schon wieder wütend.
    Offenbar ist mein Mienenspiel sehr interessant. Neugierig schaut Colin mir ins Gesicht. Ich reiße mich zusammen. »Also, würdest du bitte einen Blick auf die Gedichte werfen? «
    »Sicher. Wenn du jetzt keine Zeit hast, können wir nach Feierabend noch mal draufgucken.«
    »Ich bin nur auf der Durchreise.«
    »Ein Date mit Frederick?« Scheinbar desinteressiert blickt er an die Wand.
    Als ob ihn das etwas angehen würde.
    »Hättest du denn was dagegen?«, frage ich eher trotzig als kokett.
    »Offengestanden: ja. Pass ein bisschen auf.« »Angst vor dem, was er mir erzählen könnte?«
    Er kneift die Augen zusammen. »Und was könnte das schon sein?«
    Ich will jetzt nicht mit ihm streiten und winde mich wie ein kleiner schlüpfriger Aal aus der Klemme. »Keine Ahnung und ich werde es auch heute nicht erfahren. Ich muss nach Hamburg. Ich habe ein Bewerbungsgespräch.«
    »Oh«, sagt er, »viel Glück dann. Ich werde mir die Gedichte mal ansehen.«
    »Und, Colin, es wäre vielleicht ganz gut, wenn du Henry und den anderen nichts davon erzählst.«
    Sofort wird er wieder misstrauisch.
    »Bitte«, sage ich schnell, »ich mag Henry und die anderen. Ich verspreche, dass ich nichts vorhabe, das ihnen schadet. Wirklich nicht. Ich will es einfach nur für mich wissen.«

    Kurz erkläre ich ihm die Zusammenhänge.
    »Also gut«, sagt er dann, »ich werde einen Blick hineinwerfen. Neugierig bin ich auch. Aber wenn ich merke, dass du irgendetwas Krummes planst oder meiner Verwandtschaft vor den Kopf stößt, werde ich ungemütlich.«
    Uff, ich frage mich, ob es wirklich so eine gute Idee war, ihn mit hineinzuziehen.

    Kulturschock! Ich hätte mich doch vor dem Vorstellungsgespräch noch mal mit den anderen treffen sollen, um etwas sanfter wieder in Hamburg zu landen. Juli hat mir den Schlüssel zu ihrer Wohnung unter ihre Fußmatte gelegt und sich zu ihrem Freund Thomas verzogen. Und ursprünglich war ich auch ganz dankbar dafür, dass ich noch einen Abend zwischen Irland und Bewerbungsgespräch nur für mich habe. So gut ist die Idee dann aber doch nicht gewesen. Mit den ersten Schritten in der vertrauten Stadt kamen prompt all die unangenehmen Gefühle wieder hoch, die mich in den letzten zwei Wochen schon fast gar nicht mehr geplagt haben. Was, wenn ich zufällig Martin treffe? Nur gut, dass ich nicht in meine alte Wohnung zurückkann, sondern bei Juli übernachte. Ich erinnere mich noch gut an den Schreck, den ich bekommen habe, als ich kurz vor meiner Abreise die weiße Plastiktüte neben meinem Sofa entdeckt habe. Zu dem Zeitpunkt waren Martin und ich schon gut einen Monat getrennt gewesen. Die Tüte muss die ganze Zeit an dieser Stelle gestanden haben, aber ich hatte sie bis zu diesem Augenblick nicht mehr wahrgenommen. Mein Hirn war eine schwammige, breiige Masse. Es war die Tüte,
die mir Martin direkt nach der Trennung vorbeigebracht hatte. Darin lagen all die kleinen Dinge, die ich in seiner Wohnung gebunkert hatte. Die Zahnbürste zum Beispiel. An dem Abend packte ich sie endlich aus und bekam bei jedem winzigen Gegenstand, der seinen Platz in seiner Wohnung verloren hatte, einen Heulkrampf. Am Ende habe ich alles wieder in die Tüte und die Tüte in den Mülleimer geschmissen. Auf weitere Aha-Erlebnisse dieser Art verzichte ich gerne. Und auch wenn mir die in Julis Wohnung erspart bleiben, schlafe ich in der Nacht schlecht und quäle mich noch einmal selbst mit einem Medley der übelsten Szenen meiner Beziehung mit Martin.
    Am nächsten Morgen stehe ich unausgeschlafen vor einem riesigen, gläsernen Verlagshaus. In der Empfangshalle gibt es einen Marmortresen und fünf Fahrstühle. Ich komme mir vor wie in einem US-Film, der von lauter karriereorientierten Jung-Aufsteigern in Armani-Kostümen handelt. Nur dass meine jungen, potenziellen Kollegen nicht wirklich schick rumlaufen. Sie tragen eher das heftige Bemühen zur Schau, sich individuell zu stylen. In

Weitere Kostenlose Bücher