Ueber den gruenen Klee gekuesst - Roman
Vegetarier. Moira, die gerade mit Juli und mir einen Marketingplan entwirft, zwinkert mir zu.
»Zeit für eine Pause, oder?«
»Au ja. Tut mir leid, Moira. Wir verbreiten hier ein ziemliches Chaos, oder?«
»Quatsch, lange nicht so viel Spaß gehabt. Und dass sie sich alle zanken, zeigt doch nur, mit wie viel Leidenschaft sie dabei sind. Und das alles für ein paar alte Leute und ihr noch älteres Gemäuer.«
Moiras ironisches Lächeln kann ihre Rührung nicht verbergen. Das wiederum bewegt mich so sehr, dass ich schwer aufpassen muss, nicht in Tränen auszubrechen, ihr in die Arme zu fallen oder mich sonst irgendwie peinlich zu benehmen.
»Hey, wir machen das nur, damit wir ein Anrecht auf Lebenszeit haben, hier kostenlose Urlaube zu verbringen«, sage ich schnell.
Sie schaut mir einmal kurz tief in die Augen. Als sie an mir vorbeigeht, um die anderen Streithähne zu trennen, haucht sie mir lächelnd einen Kuss auf meinen Scheitel. »Du bist wirklich süß, Louisa!« War klar, dass sie mir meinen Gefühlsausbruch sofort angesehen hat. Ich liebe sie trotzdem!
Und dennoch versuchst du, Dinge zu ergründen, die Moira lieber verbergen würde. Pfui, Louisa!
Wie passend: Diesen Gedanken gerade zu Ende gebracht, sehe ich auch schon Colin mit verschwörerischer Miene auf mich zukommen.
»Bereit zur Reise in die Vergangenheit und die Dichtung? «, fragt er und hält mir seinen Arm hin. Wie unangenehm. Ich weiß natürlich, dass er nur Spaß macht. Ich bin mir nur nicht sicher, ob das meinen Freunden, die gerade tuschelnd die Köpfe zusammenstecken, ebenso klar ist. Trotzig hake ich ihn erhobenen Hauptes für ein paar gemeinsame
Schritte unter. Dann befreie ich schnell meine Hand aus seiner verwirrend warmen Armbeuge.
»Treffen wir uns alle hier gegen fünf Uhr zum Tee?«, frage ich die anderen.
»Kommst du denn nicht mit uns zurück zum Cottage?«, entgegnet Juli, die wir fortan nur noch »das elende Biest« nennen wollen, mit flirtigen, flatternden Lidbewegungen.
»Das gehört zum Projekt Zuckermann«, zische ich ihr schnell zu.
»Ach so«, haucht sie scheinheilig, »wie auch immer: Tut nichts, was ich nicht auch tun würde.«
Ich verspüre gerade zum ersten Mal, seit wir uns kennen, den unwiderstehlichen Drang, Juli zu verprügeln. Stattdessen verlasse ich hinter Colin den Saal.
»Ist es denn weit?«, frage ich, als wir vor dem Schloss stehen.
»Keine Sorge. Eigentlich müssen wir nur quer über die Wiese und dann noch ein paar Meter durch das Wäldchen da vorne laufen.«
Wir marschieren los, und Colin unterhält mich mit Anekdoten aus seiner Kindheit. Wenn man nicht wüsste, dass dieser Mann nur so harmlos tut, würde ich mich über die lustigen Geschichten prächtig amüsieren. Aber so haben sie einen bitteren Beigeschmack. Wie kann er nur immer noch so fröhlich und unbefangen in meiner Nähe sein, wo ich doch mittlerweile das reinste Nervenbündel bin, wenn er auch nur am Rande der Bildfläche erscheint? Oh, na klar, dumme Louisa. Er weiß ja nichts davon, dass ich hinter sein düsteres Geheimnis gekommen bin, für das er sich nicht mal zu schämen scheint. Er macht wahrhaftig nicht den Eindruck eines moralisch verkommenen Menschen. Den sollte ein Mann
aber gefälligst machen, der mutwillig seine Ehe zerstört und ein junges Mädchen brutal erpresst hat. Das ist aber nicht der einzige Grund, aus dem ich in seiner Nähe so nervös hampele. Viel schwerer wiegt eine beschämende, eine echt perverse Erkenntnis: Unter all der Abneigung, irgendwo in den ganz tiefen Abgründen meiner Seele, finde ich ihn sexy. Als wir uns kennengelernt haben, war Colin nur ein netter hübscher Junge, keine Gefahr. Aber das Wissen um seine finsteren Machenschaften hat seiner sympathischen Aura den Sex-Appeal der Verderbtheit hinzugefügt. Es lässt sich kaum länger leugnen, dass er ein richtiger Mann ist. Ein Mann mit ziemlich starken Trieben. Ein Mann mit kräftigen Händen und einen kleinen, aber sinnlichen Mund und ...
So, jetzt habe ich es zugegeben. Ja, ich finde ihn heiß. Nur ein ganz kleines bisschen natürlich. Ich bin und bleibe – was Männer angeht – eine degenerierte Versagerin. Aber ich kämpfe tapfer dagegen an. Und für meine Gefühle kann ich ja nichts, nur dafür, was ich daraus mache! Ich glaube weder an das Gute im Menschen noch an einen freien Willen. Ein bisschen animalische Gier ist völlig normal. Die verweigert sich halt moralischen Gesetzen. Und solange ich ihr nicht nachgebe, muss es die
Weitere Kostenlose Bücher