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Ueber den gruenen Klee gekuesst - Roman

Ueber den gruenen Klee gekuesst - Roman

Titel: Ueber den gruenen Klee gekuesst - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jana Seidel
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Gesellschaft nicht als ihre Pflicht ansehen, mich zu verstoßen oder auf dem Marktplatz zu steinigen. Ha! Ich bin nämlich gar nicht schlecht. Ich bin einfach nur eine Frau.
    »Was denkst du gerade?«, fragt Colin und lächelt verschmitzt.
    Er kann doch nicht etwas Gedanken lesen?
    »Oh, ich bin einfach nur gespannt auf den Ort der Vereinigung ... ähem.. von Stein und ...«.
    Er zieht die Augenbrauen hoch.

    »Vielleicht sind wir dann ja einen Schritt weiter«, sage ich in dem tiefgekühltesten Tonfall, den meine aufgewühlte Gefühlslage zulässt.
    »Ja, das wäre gut«, sagt Colin lässig.
    Zum Glück gehen wir nebeneinander durch das Wäldchen. So muss ich ihm nicht die ganze Zeit ins Gesicht sehen. Aber ich spüre ihn so deutlich an meiner Seite, dass ich ganz kribbelig werde. Ich bin einfach zu dämlich. Von der Sekunde an, in der ich mir eingestanden habe, ein äußerst dubioses Verlangen zu empfinden, wandern beunruhigende Wirbelstürme durch meinen Körper. Ich muss atmen und mich konzentrieren.
    Etwas tiefer in dem Wäldchen sehe ich, was Colin damals in der Bibliothek gemeint hat: Das Licht fällt hier ganz unwirklich auf dichten Farn und Efeu, der die Bäume fast vollständig umschlingt. Die Atmosphäre ist mystisch aufgeladen – ganz so, als müsse man nur die Hand ausstrecken, damit etwas Sonderbares geschähe. Wie zum Beispiel die Vereinigung von ... nein, quatsch. Seit wann ist mein Hirn so ein fürchterliches Plappermaul? Als wären die irren Bilder, die an meinem geistigen Auge vorbeijagen, nicht schon übel genug.
    »Wasser und Erde, Mann und Frau vor einer Mauer aus Stein«, sagt Colin.
    Ich schrecke zusammen und fühle mich – mal wieder – ertappt.
    »Da ist es.« Triumphierend sieht er mich an.
    Und ich weiß sofort, dass er Recht hat.
    Es ist so schön. Da stehen die moosüberwucherten Überreste einer Steinmauer. Dahinter ragt ein riesiger Felsen empor, aus dem sich ein kleiner Wasserfall seinen Weg über
glitschige, grün bewachsene Steine in einen kleinen See bahnt. Hätte ich eine Schwäche fürs Nacktbaden bei Vollmond, wäre dies mein Paradies.
    »Oh«, sage ich voll einfältiger Ehrfurcht und bringe dezent etwas Abstand zwischen Colin und mich. Ich gehe ganz nah an den Wasserfall heran. Ich liebe Wasserfälle. Den leichten, kalten Sprühnebel, der einem ins Gesicht spritzt. Vielleicht wird dann ja auch mein Kopf wieder klar.
    Das funktioniert nur halb. Aber immerhin bin ich ein bisschen abgekühlt, als ich Colin an die Mauer folge. Er kratzt sich am Kopf, während er im Gedichtband liest. Und endlich sieht auch er einmal etwas verlegen drein. Wahrscheinlich geht ihm beim erneuten Lesen des Gedichts genau das Gleiche durch den Kopf wie mir. Es ist doch schlicht und ergreifend so, dass wir davon ausgehen müssen, dass Zuckermann an dieser Stelle mit seiner Liebsten Sex gehabt hat. Denn nichts anderes bedeutet ja wohl dieses Geschwafel von der »Vereinigung der Elemente«. Sex! Sex! Sex! Realer geht’s nicht. Ich hatte Recht. Und mein Gefühl schreit geradezu, dass es sich bei seiner Gefährtin weder um eine Elfe noch um Nellie gehandelt hat. Irgendetwas an dem ganzen Drumherum passt nicht zu ihrer herben Erscheinung. Colin und ich schauen beide so betreten wie erkenntnisschwanger auf den beschriebenen Fleck. Fast gleichzeitig wenden wir unseren Blick ab, so als wäre zu befürchten, dass wir beim genaueren Hinsehen noch greifbare Spuren der »Vereinigung« entdecken und uns damit in noch größere Verlegenheit bringen könnten.
    »Hey, Colin, was ist das eigentlich für eine Mauer?« Reine Übersprungshandlung, diese Frage.
    »Oh, die.« Colin atmet schwer aus. Hat er etwa auch die
Luft angehalten? Aber weshalb sollte er nervös sein? »So genau weiß das keiner. Aber es gibt eine Legende zu dem Gemäuer, das hier mal gestanden haben muss.«
    »Eine finstere, blutige mit spukenden Geistern?«, frage ich hoffnungsvoll.
    »Nein, eher eine Liebesgeschichte.«
    O nein, bitte, nur das nicht!
    »Ach so«, sage ich schnell.
    »Enttäuscht, Louisa? Wären dir abgehackte Gliedmaßen und schwere Ketten an Geisterfüßen lieber?«
    Er soll bitte sofort aufhören, mir so in die Augen zu sehen. Vergiss bloß nicht, wie widerlich es ist, was er getan hat, Louisa! O.k., O.k., ja, fiele er hier auf der Stelle über mich her, würde ich nicht allzu sehr um mich treten und kratzen. Er müsste mir nicht mal gute Noten dafür geben. Schluss, Louisa! Du bist die Vernünftige in deinem Freundeskreis. Du

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