Ueber den Himmel hinaus - Roman
eine Weise, die nur er versteht. Also, stürz dich ruhig in die Arbeit, aber gib Nikita genügend Möglichkeiten, dir seine Liebe zu beweisen.«
Sofi nickte mit feuchten Augen.
»Ich bin stolz auf dich«, sagte ihre Mutter rau und wandte den Blick ab. »Und dein Papa wäre es ebenfalls gewesen.« Sie erhob sich, um Sofis leeren Teller in die Spüle zu stellen, während diese ihren Tränen freien Lauf ließ. Sie weinte wegen Papa, wegen Julien, der so weit weg war, wegen Nikita und wegen ihrer Mutter, die ein Leben voller Entbehrungen hatte führen müssen. Schließlich trocknete sie sich das Gesicht und atmete tief durch. Sie hatte keine Zeit für Tränen. Sie war im Begriff, die nächste Sprosse der Karriereleiter zu erklimmen. Es gab viel zu tun.
Der Kamin war mit blinkenden Lichterketten geschmückt, Bratenduft hing in der Luft. Sofi, die soeben Nikita ins Bett gebracht hatte, verharrte einen Moment am Eingang zum Esszimmer, das förmlich aus allen Nähten platzte. Gleich an der Tür saß Julien mit ihrer Mutter, die gerade über einen Scherz von ihm lachte. Sie vergötterte ihn richtiggehend.
Daneben zappelten Anna und Matthew herum, die hoffnungslos überdreht waren und längst ins Bett gehörten. Stasja hatte sie gleich ins Herz geschlossen und ließ sich auch von ihnen Babuschka nennen. Lena, deren Wangen vom Champagner gerötet waren, unterhielt sich mit Sam, der kürzlich dreißig geworden war, mit seinen langen Locken und seinem unbeschwerten Grinsen aber immer noch wirkte wie ein Teenager. Auf dem freien Stuhl neben Sam saß Sofi, und an Juliens rechter Seite thronte Natalja, die zur Abwechslung sogar tatsächlich etwas aß. Eine fröhliche Festtafel, hätte man meinen können. Doch der Schein trog.
Lena und Stasja wechselten kaum ein Wort miteinander, was Sofi erzürnte, denn ihre Mutter hatte sich nichts zuschulden kommen lassen.
Anna und Matthew waren laut und lebhaft, und wann immer Sofi die beiden rügte, fragte sie sich unwillkürlich, ob ihre Ungeduld womöglich daher rührte, dass sie neidisch war, weil sie sich so normal verhielten. Vielleicht ärgerte sie sich auch darüber, dass Lena offenbar nicht wusste, wie glücklich sie sich schätzen konnte.
Natalja lag im Clinch mit Ruperts Firma, die sich weigerte, sie aus dem Vertrag aussteigen zu lassen, der ihr eine schöne Stange Geld einbrachte, obwohl sie seit Monaten nicht gearbeitet hatte. Sie redete von nichts anderem, und seit sie von Julien heute früh wegen ihrer ständigen Klagen sanft zurechtgewiesen worden war, schmollte sie.
Am schlimmsten aber war, dass die Beziehung zwischen Lena und Natalja sehr gelitten hatte. Es machte die Angelegenheit auch nicht einfacher, dass Lena sichtlich eifersüchtig war, mit schriller Stimme sprach und übertrieben lachte, wann immer Sam das Wort an ihre Schwester richtete.
Sofi ließ sich wieder auf ihrem Platz nieder, und Julien ergriff ihre Hand, ohne seine Unterhaltung mit Mama zu unterbrechen. Ja, es war normal, dass sie sich zankten und einander grollten, und doch war dieses Treffen anders als die vorigen. Ihr Verhältnis zueinander war stets wie ein robuster Tonkrug gewesen, etwas angeschlagen über die Jahre, aber im Großen und Ganzen heil. Letztes Jahr, nach Viktors Besuch, war er entzweigegangen. Gewiss, sie hatten die Scherben wieder zusammengeklebt, doch die Bruchstellen würden immer zu sehen sein.
Teil Vier
KAPITEL 34
2000
Natalja war heilfroh, endlich nicht mehr die am besten verdienende Arbeitslose zu sein, die sie kannte.
Über eineinhalb Jahre lang hatte sie keine Aufträge als Schauspielerin annehmen dürfen. Selbst Interviews oder Fotoshootings hatte man ihr untersagt. In den ersten sechs Monaten waren wiederholt Anfragen hereingekommen, und sie hatte sich mehrfach an Ruperts Büro gewandt - nicht an ihn persönlich, das wagte sie nicht - und um eine Aufhebung ihres Vertrags gebeten, doch vergebens.
»Mr. Palmer hält sich an den Vertrag«, hatte ihr eine ganze Reihe von Sekretärinnen und anderen Untergebenen immer wieder gesagt.
Sie hatte einen Anwalt engagiert, der ihr erklärt hatte, der Vertrag enthielte Klauseln, die im Klartext bedeuteten, dass ihre Karriere zu Ende war, sollte sie Rupert je verlassen. Zum Glück hatte ihr Sofi eingeschärft, darauf zu bestehen, dass über die gesamte Laufzeit ein Viertel ihres Gehalts als eine Art Jahresrente auf ein spezielles Konto überwiesen wurde, auf das sie mit Vertragsende Zugriff bekam.
Nun, da es so weit war,
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