Ueber den Himmel hinaus - Roman
gelaufen!«
Sie umklammerte das Drehbuch und ging zu Dan. »Was soll das?«
Er drehte sich lächelnd zu ihr um, zuckte mit den Schultern. »Ich führe nur die Befehle von ganz oben aus.«
»Das war also Ruperts Idee?« Natürlich. »Stirbt Tatjana?«
»Ja.«
»Gibt es eine Todesszene? Auf der Straße oder in einem Krankenhaus?«, fragte sie mit wachsender Verzweiflung. Das konnte er ihr nicht antun! Ihr Vertrag lief noch gute achtzehn Monate, bis Januar 2000.
»Nein. Du rennst auf die Straße, und das war’s.«
Das war’s.
Dan beugte sich zu ihr und fuhr mit gesenkter Stimme fort: »Keine Sorge, du stehst unter Vertrag, das heißt, du wirst weiterhin bezahlt.«
Es war das erste Mal, dass er auch nur ansatzweise Mitgefühl zeigte.
»Warum tut er mir das an?«
»Er sagte, du würdest schon wissen, weshalb.«
Dann wurden sie vom Chefbeleuchter unterbrochen, und Dan ließ sie stehen.
Natalja sackte gegen den Türpfosten. Hatte sie wirklich angenommen, Rupert würde sie ungeschoren davonkommen lassen? Er war zwar an den Vertrag gebunden, aber das war sie ebenfalls. Ohne seine Zustimmung durfte sie keine anderen Rollen annehmen.
»Okay, Tatjana, wir sind so weit«, rief Dan.
Natalja schleppte sich aufs Set. Sie lieferte eine schauderhafte Leistung, doch Dan war damit zufrieden. Dann verfolgte sie, wie der Schauspieler, der Tatjanas Exmann Trevor spielte, hereinstürmte und brüllte, Tatjana sei überfahren worden. Und das war’s. Ihr Schwanengesang in der dritten Person. Natalja ließ das hektische Treiben und Stimmengewirr am Set hinter sich und trat durch das Tor hinaus in die Anonymität.
Niemand verabschiedete sich von ihr.
KAPITEL 33
Es war ein seltsames Gefühl, nach fünf Jahren wieder in Sankt Petersburg zu sein. Die Stadt hatte sich in vielerlei Hinsicht verändert, war aber im Großen und Ganzen dieselbe geblieben. Schmuddelige Erhabenheit, holprige Bürgersteige, kaum beachtete Verkehrsregeln. Das Gebäude, in dem Sofi aufgewachsen war, hatte Rostflecken unter den
Fenstern, der Gips bröckelte ab. Immerhin war kürzlich eine neue Haustür aus Stahl eingebaut worden. Vor der stand sie nun, mit Nikita auf dem Arm, und suchte gerade den richtigen Klingelknopf, als eine abgemagerte junge Frau aus dem Haus trat und sie herein ließ.
Der Aufzug funktionierte wieder einmal nicht. Sie packte den Koffer und nahm die Treppe. Die Beleuchtung war erneuert worden, die Wände waren mit Graffiti beschmiert. Vor Mamas Tür blieb sie stehen, stellte den Koffer ab und klopfte.
Die Tür schwang auf. Stasja hatte sie bereits erwartet. »Sofi, mein Kind! Und dein hübscher kleiner Junge.«
Sofi setzte Nikita ab und warf sich in Mamas Arme. Schließlich machte sie sich von ihr los und trat einen Schritt zurück. Nikita starrte in eine Ecke des Zimmers.
Stasja kniete sich vor ihn auf den Boden. »Wie wär’s mit einer Umarmung für deine Babuschka?«
»Babuschka«, sagte Nikita ernst, ohne einen Finger zu rühren.
»Ach, hör doch, was für ein wunderschönes Wort!«
Sofi lächelte matt und half ihrer Mutter wieder auf die Beine. Sie hatte ihr weder von Nikitas Krankheit erzählt noch den Grund für ihren Besuch genannt. Sie war gespannt, ob ihrer Mutter auffallen würde, dass etwas nicht stimmte.
Sie sah sich im Zimmer um. Es war sauber und roch nach Möbelpolitur, als wäre sie eine Besucherin, die es zu beeindrucken galt.
»Ich habe schon Tee gemacht.« Stasja begab sich in die Ecke des Wohnzimmers, die zur Kochnische umfunktioniert worden war. »Möchte der Junge vielleicht ein Glas Milch?«
Nikita machte ein paar unsichere Schritte. Er hatte Mamas Standventilator entdeckt und starrte auf die sich drehenden Rotorblätter.
»Bestimmt. Kann ich dir helfen?«
»Nein, du bist mein Gast. Setz dich. Ich freue mich sehr über deinen Besuch, auch wenn du nur ein paar Tage hier bist.«
Stasja stellte ein Tablett mit Tee, Milch und Keksen auf den Tisch und versuchte, Nikita mit einem Plätzchen zu locken, doch er hatte kein Interesse. Sie plauderten eine Weile.
Stasja beschwerte sich bitterlich über Onkel Viktor und Lena, erzählte von der Arbeit in der Bäckerei und von ihrem Ärger mit diversen unangenehmen Untermietern. Inzwischen bestritt sie die Miete allein, und sie dankte Sofi immer wieder dafür, dass sie ihr Geld schickte. Zwischendurch beobachtete sie Nikita, versuchte, mit ihm zu reden, ihn zu sich zu rufen.
Nach einer halben Stunde, in der Nikita sämtliche Untersetzer vom Sofatisch
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