Ueber den Himmel hinaus - Roman
die erste Rate erst in drei Jahren fällig wurde. Oder als Becky bei ihrem letzten Besuch zu Sams Geburtstag verkündet hatte, sie wolle sich erst nach Grandads Tod an der Uni einschreiben, weil es einfacher sei zu studieren, ohne nebenbei arbeiten zu müssen. Und als sich Sam zu Lenas großer Verzweiflung von Tony dreihundert Pfund für eine neue Gitarre geliehen hatte.
Grandad verzog das Gesicht. »Sie will mich woanders unterbringen, wo ich es ›bequemer habe‹.«
»Ich weiß. Das hat sie mir gegenüber auch schon erwähnt.«
Zugegeben, Grandad machte eine Menge Arbeit, aber das war in Lenas Augen noch lange kein Grund, ihn abzuschieben. Wendy wurde bloß allmählich faul oder hatte es satt, ihn zu pflegen.
»Keine Sorge, das lasse ich nicht zu.«
»Gott schütze dich, Lena.« Er drückte ihre Hand und wandte den Kopf ab, weil ihm Tränen in die Augen stiegen. Als er sich wieder gefangen hatte, sagte er: »Ich habe keine Angst vor dem Tod; nur vor dem, was unmittelbar davor kommt.«
»Schluss jetzt mit diesem morbiden Gerede, das bringt nur Unglück.« Lena tätschelte seine Hand und wollte sich erheben, doch er hielt sie erneut zurück.
»Er hat dich nicht verdient; dieser Trunkenbold, der hier aufgekreuzt ist und behauptet hat, er wäre dein Vater.«
Lenas Herz krampfte sich zusammen. »Er war - er ist - mein Vater.«
»Einfach so hereinzuplatzen, um dann genauso plötzlich wieder abzuhauen … Dem Kerl ist offenbar nicht klar, was er an seiner Tochter hat.«
»Hör auf, Grandad. Ich will nicht darüber reden.«
»Aber ich. Und außerdem will ich über die Alkoholfahne reden, die du neuerdings hast, wenn du bei mir abends das Licht löschst.«
Lena spürte Verärgerung in sich aufsteigen. Sie hatte nicht die geringste Lust auf eine Strafpredigt. »Viele Leute trinken abends ein, zwei Gläser Wein.«
»Aber nicht jeden Abend eine ganze Flasche.«
Lena schüttelte den Kopf. Er konnte unmöglich wissen, wie viel sie trank. »Du siehst Gespenster, Grandad.«
»Von wegen. Ich habe recht, oder?«
Lena schwieg beschämt. Sie fühlte sich durchschaut.
»Hast du es denn so schwer, Mädchen?«, ächzte er kurzatmig.
Sie seufzte. »Nein … Aber ich habe es auch nicht gerade leicht. Seit einer Ewigkeit trete ich auf der Stelle, rackere mich ab, damit wir über die Runden kommen, bin auf die Großzügigkeit meiner Schwester und meiner Cousine angewiesen, damit ich mal aus Briggsby rauskomme …« Sie verstummte, zuckte mit den Schultern. »Grandad, in all den Geschichten, die du mir von deiner Jugend erzählt hast, hast du kein einziges Mal von Liebe geredet.«
»Ich hab dir doch von Anna, Wendys Mutter, erzählt.«
»Aber nicht viel. Hast du sie geliebt?«
»Selbstverständlich.«
»Warst du auch blind vor Liebe zu ihr, oder bin ich die Einzige?«
»Liebe macht immer blind.« Grandad streichelte ihr über den Kopf und hob dann ihr Kinn an, um ihr in die Augen zu sehen. »Versprich mir etwas.«
»Was?«
»Versprich es mir einfach.«
»Ich kann dir nichts versprechen, wenn ich nicht weiß, worum es geht.«
»Es ist das Einzige, das mir noch Freude bereiten kann.«
Lena musste lachen. »Wie könnte ich da nein sagen?«
Er zog streng die weißen Augenbrauen zusammen. »Hör mit dem Trinken auf. Einen Monat lang.«
Sie schloss die Augen, spürte, wie ihr die Müdigkeit in die Knochen kroch. Zum Glück näherte sich in diesem Moment von draußen Kindergeschrei. Matthew rannte herein, warf sich ihr in die Arme und klagte, Anna hätte den Videorekorder ausgeschaltet, obwohl er gerade einen Film geschaut hatte. Anna stand mit hochmütiger Miene daneben. Lena hatte ihr Selbstmitleid augenblicklich vergessen und erhob sich, um die beiden ins Wohnzimmer zu führen, wo sie Grandad nicht stören konnten.
»Lena«, rief er ihr nach, als sie schon an der Tür war. »Versprochen?«
Ihr graute bei der Vorstellung, einen Tag - geschweige denn einen Monat - ohne einen Tropfen Alkohol überstehen zu müssen. Doch insgeheim wusste sie, dass er recht hatte.
»Versprochen.«
Sam war bei der Probe, die Kinder schliefen, Grandad ebenfalls. Wendy saß vor dem Fernseher, und Lena sehnte sich nach einem Glas Wein.
Am ersten Tag war alles ganz einfach gewesen. Sie hatte
Grandad gegenüber sogar geprahlt, wie leicht ihr das Durchhalten fallen würde. Am zweiten Tag war sie reizbar gewesen, was allerdings bei zwei kleinen Kindern nicht weiter verwunderlich war. Doch der heutige dritte Tag war die Hölle
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