Ueber den Himmel hinaus - Roman
diese Weise konnte Sofi wieder ihrer Lieblingsbeschäftigung nachgehen: dem Entwurf und der Herstellung von Schmuck in ihrer Werkstatt in Richelieu. Und alle zwei Wochen würde sie nach Paris fahren, um Nachschub zu liefern.
Sie hatte sich oft gefragt, ob ihr wohl je die Ideen ausgehen würden, ob sie irgendwann anfangen würde, sich zu wiederholen, doch das Gegenteil war der Fall: Je produktiver sie war, desto kreativer wurde sie auch. Jede Woche verbrachte sie Stunden um Stunden damit, Schmuck aus anderen
Ländern und Epochen zu recherchieren, und derart beflügelt machte sie sich dann fieberhaft an den Entwurf neuer Stücke. Zuweilen scheiterte auch einmal ein Experiment; einige allzu kühne Kombinationen unterschiedlicher Stilrichtungen wirkten, als stammten sie von einem dreijährigen Kind. Doch mindestens genauso oft entstanden dabei neue Designs, die sie in Auflagen von dreihundert Stück in ganz Europa verkaufen konnte. Kunst war eben ein Risiko; das sagte Julien auch immer.
Francette wartete bereits an der Tür, mit einer flauschigen Wollmütze auf dem Kopf und einer ledernen Handtasche über der Schulter. »Gehen wir?«
»Gleich. Ich hab noch eine Kleinigkeit mit dir zu besprechen.«
Francette nickte und setzte sich auf die Ledercouch neben der Tür.
»Ich weiß es sehr zu schätzen, dass du wegen der Boutique nach Paris umgezogen bist.«
»Etwas Besseres hätte mir gar nicht passieren können. Auf diese Weise kann ich für dich arbeiten und in Paris leben. Ich musste ohnehin dringend raus aus Richelieu.«
»Hast du eine schöne Unterkunft gefunden?«
»Ja, in einer Wohngemeinschaft in Montparnasse. Die Wohnung ist winzig, aber hübsch. Es ist ein Abenteuer.«
Sofi dachte an die Wohnung in London, die sie sich mit ihren Cousinen geteilt hatte. Ein gemeinsames Schlafzimmer für drei. Das war in der Tat ein Abenteuer gewesen.
»Es ist doch wichtig, solche Erfahrungen zu machen, wenn man jung ist«, fuhr Francette fort. »Dir ging es sicher genauso, als du aus Russland ausgewandert bist.«
»Ja.« Plötzlich fühlte sich Sofi alt. »Francette, du bist viel mehr als bloß eine Angestellte, die sich um meine Boutique
kümmert. Ich werde dich befördern, und du bekommst eine Gehaltserhöhung.«
Francette wartete schweigend ab.
»Meiner Ansicht nach solltest du stellvertretende Geschäftsführerin von Anastasia Designs sein. Ich werde dein Gehalt verdoppeln.«
»Du bist viel zu großzügig.«
»Nein, du bist viel zu großzügig, mit deiner Zeit und deiner Energie. Es ist toll, dass ich mich so voll und ganz auf dich verlassen kann.« Sie tätschelte Francette das Knie. »Meinen Glückwunsch.«
Sie traten hinaus in die kühle Nachtluft und schlossen ab. Sofi verabschiedete sich von Francette und schlug den Weg zum Hotel ein. Natürlich war sie tief enttäuscht, dass Julien nicht gekommen war, obwohl sie ihn gebeten hatte, seinen Aufenthalt in Kanada um einen Monat zu verkürzen. Er hatte lediglich immer wieder beteuert, er sei stolz auf sie und ihren großen Erfolg.
Sie schüttelte den Kopf. Es war nur der nachlassende Schwips, der sie Trübsal blasen ließ. Morgen würde sie mit Nikita und Mama nach Richelieu zurückfahren und sich wieder an die Arbeit machen. Arbeit schien die Lösung für alle Probleme zu sein.
Leida hatte zwar gesagt, sie müsse bereit sein, für weniger Geld zu arbeiten, doch dass sie überhaupt keine Gage bekommen würde, damit hatte Natalja nicht gerechnet.
»Vertrau mir einfach«, hatte ihre Agentin gesagt. »Und außerdem - freust du dich nicht darüber, kranke Kinder aufmuntern zu können?«
Ein Kinderkrankenhaus nahe Haysbridge-on-Sea hatte die gesamte Besetzung von Lonely Shores zum Tag der offenen
Tür eingeladen, aber kein einziger der Schauspieler hatte vor, hinzugehen. Leida war der Ansicht, das sei die ideale Gelegenheit für Natalja, sich zu profilieren. Ein Popsternchen, ein TV-Heimwerker und ein Märchenonkel aus der Gegend, der als Sessel verkleidet auftrat, hatten bereits zugesagt.
»Die Kinder kennen mich doch gar nicht«, hatte Natalja zu bedenken gegeben.
»Egal. Sie werden eine schöne, glamouröse Frau sehen, und die Journalisten werden Fotos von dir schießen, auch wenn sie gar nicht deinetwegen dort sind. Ich werde eine Freundin hinschicken, die für eine Illustrierte schreibt. Ich sehe schon die Schlagzeile vor mir: Tatjana beweist als einziger Star von Lonely Shores Ein Herz für Kinder .« Leida ließ ihr gackerndes Lachen hören.
Also
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