Ueber den Himmel hinaus - Roman
nicht die Hälfte deines Vermögens, oder?«
»Genau deshalb habe ich gesagt, du sollst deine Investitionen streuen. Natalja, wir wollten das Ganze doch noch einmal genauer besprechen.«
»Du hast mit keinem Wort erwähnt, dass so etwas passieren kann.«
»Ich weiß nicht, was ich sagen soll, Natalja. Es tut mir schrecklich leid, dass du Geld verloren hast, aber ich weiß genau, dass ich dir eingeschärft habe, noch einmal mit mir oder einem Broker darüber zu reden.«
»Was soll ich denn jetzt tun? Solange ich nicht arbeite, muss ich von meinen Ersparnissen leben. Ich kann es mir nicht leisten, so viel Geld zu verlieren. Ich verstehe noch nicht einmal, wo es hin ist.« Sie verstummte, versuchte, sich zu fassen. »Kann ich es irgendwie zurückbekommen?«
»Nein, es ist weg. Wenn du klug investierst, wird dein Vermögen mit der Zeit wieder anwachsen, aber …«
»Ich werde es auf ein Bankkonto legen, wo es sicher ist«, erwiderte Natalja scharf.
»Ich kann dir nur raten …«
»Ich kann auf deine Ratschläge verzichten«, fiel ihr Natalja ins Wort und bereute es sogleich. »Entschuldige. Das war ungerecht.«
»Ja, das war es.«
Natalja wechselte das Thema. »Wie läuft deine Boutique?«
»Großartig. Du solltest nach Paris kommen und sie dir ansehen. Wir könnten uns zum Mittagessen treffen.«
»Ich fahre in nächster Zeit sicher nicht nach Paris«, brummte Natalja missmutig. Sie würde den Gürtel enger schnallen müssen.
Sie beendete das Gespräch, legte sich wieder ins Bett und starrte auf den unseligen Kontoauszug. Das Leben war so ungerecht. Sie wusste, es war irrational, aber sie machte Sofi für ihre Misere verantwortlich. Sofi, die nicht ihr halbes Vermögen verloren hatte, die nicht so einsam war und die ihr Leben so viel besser im Griff zu haben schien als sie.
Die Geburtstagsparty für die Zwillinge hatte eigentlich im Park stattfinden sollen, doch ein unerwarteter Regenguss hatte sie gezwungen, drinnen zu feiern, weshalb nun sechzehn überdrehte Sechsjährige durch Wendys Haus tobten. Lena, die in der Küche Obst aufschnitt, spähte hinaus ins Wohnzimmer, wo Sam mit einem lilafarbenen Papphütchen auf dem Kopf den Kassettenrekorder bediente, während die Kinder kreischend ein Paket herumreichten. Wendy und Grandad hatten sich in ihren Zimmern verschanzt. Lena konnte es ihnen nicht verdenken.
Es war höchste Zeit, dass sie sich eine eigene Bleibe suchten. Ihr Liebesleben hatte sehr darunter gelitten, dass sie jahrelang mit Matthew und Anna in einem Zimmer geschlafen hatten, nur durch einen Vorhang getrennt. Vor Kurzem hatte Wendy eingewilligt, die Zwillinge ins Esszimmer ziehen zu lassen, dafür aber ihre Miete verdoppelt. Lena träumte von einer eigenen Wohnung. Etwas Kleines am Stadtrand, wo sie mehr Privatsphäre hätten, doch Sam
zögerte noch. Es war einfach zu praktisch, dass seine Mutter jederzeit als Babysitter einspringen konnte. Außerdem hatte ihr Auto den Geist aufgegeben, und sie sparten auf ein Neues, damit Sam nicht immer auf Tony angewiesen war, wenn er zur Probe wollte. Doch auch Lena hatte einen Grund zu bleiben: Was würde mit Grandad geschehen, wenn sie erst weg war? Also lief alles weiter wie bisher.
Als sie die Torte aus dem Kühlschrank holte, klingelte das Telefon. Sie nahm nicht ab, sondern steckte die Kerzen auf den Kuchen - sechs auf die hellblaue Hälfte für Matthew und sechs auf die rosarote für Anna. Das Telefon begann erneut zu klingeln, der Anrufer war hartnäckig. Diesmal ging sie ran. Vielleicht war es ja wichtig.
»Hallo?«
»Hier ist Tony. Ist Sam zu Hause?«
Lena hatte eine richtige Abneigung gegen Tony entwickelt, teils weil auf ihn kein Verlass war, teils, weil er Sam, ohne mit der Wimper zu zucken, Geld lieh und es dann rasch zurückforderte. »Hier steigt gerade die Geburtstagsparty unserer Kinder. Kann er später zurückrufen?«
»Nein, es ist dringend.«
Seufzend legte Lena den Hörer auf die Anrichte. »Sam«, rief sie. »Tony will dich sprechen. Er sagt, es ist dringend.«
Als Sam nach einer Weile auflegte, wirkte er verdattert.
»Was ist los?«
»Nichts. Ich erzähl’s dir später.«
Lena war neugierig, doch Anna verlangte ihre Torte, also kehrte sie in die Küche zurück, um die Kerzen anzuzünden.
Sie verfolgte, wie Sam lächelnd Fotos von den Kindern schoss. Eine vertraute Angst machte sich in ihrem Herzen breit: Er hatte sich wieder Geld geliehen, und jetzt wollte
Tony es zurückhaben. Doch wo sollten sie es hernehmen? Sie
Weitere Kostenlose Bücher