Ueber den Himmel hinaus - Roman
Firmenwagen, ein glänzender gelber Citroën Berlingo, wartete startbereit und voll bepackt.
»Mach dich nicht verrückt«, beschwichtigte sie ihn.
Er antwortete erst, als sie angeschnallt im Auto saßen. »Du hast leicht reden; du steigst ja nicht ins Flugzeug.«
»Wenn du so ungern fliegst, bleib doch einfach zu Hause.« Das hatte schärfer geklungen als beabsichtigt. Sofis Puls beschleunigte sich. Sie mochte keine Auseinandersetzungen.
Als sie auf der Route de Tours waren, sagte er: »Wenn es dir nicht gefällt, dass ich ins Ausland gehe, solltest du mir das sagen, ehe ich mich auf den Weg zum Flughafen mache.«
Sie schwieg. Jetzt war nicht der geeignete Zeitpunkt für eine derart komplizierte Unterhaltung. Andererseits: Wann war der richtige Zeitpunkt dafür?
»Sofi«, fuhr er etwas sanfter fort. »Du hast mit keinem Wort erwähnt, dass du etwas dagegen hast, dass ich nach Kanada gehe.«
»Natürlich nicht. Du hättest dich ohnehin nicht davon abhalten lassen. Aber du hättest ein schlechtes Gewissen gehabt, und dann wäre die Stimmung zwischen uns angespannt gewesen. Es war einfacher, nichts zu sagen.«
»Du überraschst mich. Ich dachte, wir wären uns einig.«
Sofi dachte darüber nach. Julien war normalerweise mindestens drei Monate im Jahr von zu Hause fort, aber so
schlimm wie dieses Jahr war es noch nie gewesen. Er würde bis Mai in Kanada bleiben, den Sommer zu Hause verbringen und danach bis Weihnachten in Beijing sein. Für ihn war das Leben ein einziges großes Abenteuer. Er reiste durch die Weltgeschichte und ließ sich feiern, während seine Familie, die ihn vorbehaltlos unterstützte, zu Hause auf ihn wartete. Für Sofi war es ein ständiger Kampf. Kaum hatte sie sich an seine Anwesenheit gewöhnt und genoss es, ihn um sich zu haben, packte er auch schon wieder die Koffer. Warum war seine Sehnsucht nach ihr während seiner Auslandsaufenthalte nicht so groß, dass er in Frankreich blieb? Nikitas Wohlergehen schien ihm nicht viel mehr am Herzen zu liegen als das der Katze. Solange es dem Jungen gut ging, war er zufrieden; dankbar für Mamas Hilfe, überrascht von den diversen kleinen Erfolgen.
Sofi wusste nur zu gut, dass er sich aus reinem Selbstschutz in seinem Atelier verschanzte und sich kaum für Nikitas Fortschritte interessierte. Solange er nicht über Nikitas Zustand sprach, solange er nicht da war, um mitzuerleben, welche Auswirkungen sich daraus für den Alltag ergaben, konnte er so tun, als wäre es gar nicht wahr. Sofi konnte es ihm nicht verdenken. Nicht selten geriet sie in Versuchung, dieselbe Taktik anzuwenden. Ihr Unternehmen wuchs und wuchs. Sie hatte nun schon achtzehn Angestellte, und im April würde Francette die erste Boutique in Paris eröffnen. Da war es leicht, von frühmorgens bis spät in die Nacht außer Haus zu sein. Sie war so beschäftigt, dass sie sogar den Gedanken an ein zweites Kind vorläufig verdrängt hatte. Doch Mama verstand es hervorragend, ihr immer wieder Gewissensbisse zu machen, damit sich Sofi Zeit für Nikita nahm, auch wenn es den Anschein hatte, dass er ihre Anwesenheit gar nicht richtig registrierte.
»Wir sind uns einig«, murmelte sie und stellte die Heizung an. »Entschuldige.«
Als sie nach Hause kam, wirkte der Himmel düster und kalt. Die Lampe über der Haustür brannte und erhellte einen Vorhang aus Regentropfen, den der Wind vor sich hertrieb. Sofi eilte ins Haus und fand Mama im Wohnzimmer vor dem Fernseher.
»Er ist noch wach«, sagte diese. »Falls du ihm einen Gutenachtkuss geben möchtest.«
Sofi schlüpfte aus den Schuhen und ging ins Kinderzimmer. Im Licht der Nachttischlampe sah sie, dass Nikita auf der Seite lag und wie in Trance die Fäuste ballte und öffnete, wie immer, wenn er müde war.
»Nikita?« Sofi setzte sich neben ihn auf das Bett.
Er studierte weiter seine Hände, ohne sie zu beachten.
»Gute Nacht, mein Schatz.« Sie gab ihm einen Kuss.
»Gute Nacht.«
Sofi schnappte nach Luft. Hatte sie richtig gehört? Er hatte sie nicht imitiert, sonst hätte er gesagt: »Gute Nacht, mein Schatz.«
»Was hast du gesagt?«, fragte sie.
Keine Reaktion. Seine Fäuste ballten und öffneten sich.
Sie drückte ihm lächelnd einen weiteren Kuss auf die Wange. »Mein kluger Junge«, sagte sie und ging ins Wohnzimmer.
»Er hat mir eine gute Nacht gewünscht«, berichtete sie auf Russisch.
»Das hat er heute gelernt. Ich hatte gehofft, dass er dich damit überraschen würde.« Stasja machte den Fernseher aus.
»Ist
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