Ueber den Himmel hinaus - Roman
alles vertan, unwiederbringlich zerstört. So sehr sie sich auch bemühte, sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, was geschehen müsste, um alles wieder ins Lot zu bringen.
KAPITEL 51
Er hatte tagelang auf der Lauer gelegen, seine Unterlagen und seine Gedanken geordnet. Jetzt wurde es Zeit zu handeln. Niemand wusste besser als er, welch wertvolles Gut die Zeit war. Wenn er schon aus dem Leben scheiden musste, dann wollte er es wenigstens ohne Reue tun.
Er hatte in Erwägung gezogen, nach Russland zu fliegen und diesen Viktor Tschernow ausfindig zu machen, um sich an ihm zu rächen, als er Lena an der angegebenen Adresse nicht angetroffen hatte. Doch er hatte abgewartet, und es hatte nicht lange gedauert, bis sie aufgetaucht war, um ihre Kinder abzuholen. Die Ähnlichkeit mit ihrer älteren Schwester war nicht zu übersehen, wenngleich sie von Gram gezeichnet war und nicht ganz so schön. Er war ihr in sicherem Abstand bis zu ihrer Wohnung gefolgt und hatte beschlossen, abzuwarten, bis die Kinder wieder weg waren. Er musste sie allein sprechen.
Vorhin hatte sie die beiden wieder abgeliefert, wobei sie tapfer ein fröhliches Gesicht zur Schau gestellt hatte, nur um in Tränen auszubrechen, sobald sie um die Ecke gebogen war.
Bald würde er ihr einen triftigen Grund zu weinen liefern.
Lena sperrte erschöpft die Wohnungstür auf, brachte ihre Einkäufe in die Küche, verharrte einen Augenblick, um wieder zu Atem zu kommen. Ihr Blick fiel auf die Wodkaflasche neben der Mikrowelle. Sie goss sich einen ordentlichen Schuss ein und genehmigte sich immer wieder einen Schluck, während sie die Lebensmittel verräumte.
Als es klopfte, schob sie ihr Glas hinter den Toaster und ging zur Tür.
Der Mann, der ihr gegenüberstand, trug eine Baseballkappe und kam ihr irgendwie bekannt vor.
»Ja?«, sagte sie misstrauisch.
»Du bist Lena, richtig?«
Ein amerikanischer Akzent. Ein Bild blitzte vor ihrem inneren Auge auf: ein Mann, der stolz mit einem roten Sportwagen posierte. Creedy. Sie wollte die Tür zuschlagen, aber er war schneller, schob sie mit der Schulter wieder auf. »Komm schon, lass mich rein. Ich will mit dir reden, das bist du mir schuldig.« Er streifte sie, als er in die Wohnung trat. »Ich werde dir nichts tun.«
Lena schwindelte. Sie holte tief Luft, zwang sich, ihre Gedanken zu ordnen. Rede mit ihm, erklär ihm alles und dann sieh zu, dass du ihn loswirst. Es waren über zehn Jahre vergangen. Wenn er sich hätte rächen wollen, dann hätte er es längst getan. Vielleicht wollte er bloß Geld; das war kein Problem, Sofi hatte ja bereits in Erwägung gezogen, ihm alles zurückzugeben.
Lena deutete auf das Sofa. »Bitte, setzen Sie sich.«
Creedy ließ sich auf das Sofa fallen und nahm die Kappe ab. Sie rechnete nach. Er musste um die sechzig sein, wirkte jedoch bedeutend älter, grau und faltig. Sie trat von einem Fuß auf den anderen, unsicher, unentschlossen, wohl wissend, dass sie nicht in der Lage sein würde, stillzusitzen. Wenn sie doch nur Sofi anrufen könnte …
»Du bist fast so hübsch wie deine Schwester«, bemerkte er.
»Was wollen Sie?«
Zu ihrer Verblüffung lächelte er. »Lena, ich bin todkrank, und ich benötige deine Hilfe, um ein paar Angelegenheiten zu regeln.«
Sein vernünftiger Tonfall wirkte entwaffnend. Todkrank?
Das erklärte sein Aussehen. Lenas Hände zitterten. Sie brauchte noch ein Glas Wodka.
»Möchten Sie einen Drink?«
»Ich darf keinen Alkohol trinken. Ich bin zu krank.«
»Das tut mir leid«, stieß sie hastig hervor. »Und auch diese Sache damals tut mir sehr leid … Wir waren jung und dumm.«
Er machte eine wegwerfende Handbewegung. »Spar dir deine Entschuldigungen. Deswegen bin ich nicht hier.«
Sie kauerte auf der Kante ihres Sessels, die Finger ineinander verkrampft. Als sie feststellte, dass ihr Herz unrhythmisch klopfte, zwang sie sich, ruhig und regelmäßig zu atmen und Creedy genau zuzuhören.
»Als ihr mich damals ausgetrickst habt, hätte ich euch am liebsten alle drei umgebracht«, sagte er, und Lenas Herz setzte einen Takt aus. »Aber ich habe niemandem davon erzählt, so peinlich war mir die Angelegenheit.«
»Sofi wird Ihnen alles zurückzahlen. Sie spielt schon länger mit dem Gedanken.«
»Das Geld war mir egal«, winkte er ab. »Es ging um meinen Stolz. Ich habe die Erinnerung an euch lange verdrängt. Und dann hat Gott beschlossen, mich an Krebs erkranken zu lassen. Ein Tumor, in der Prostata. Im Schwanz.« Er lachte
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