Ueber den Himmel hinaus - Roman
sollen, in einem Restaurant, mit einer Flasche georgischen Weines.
»Seid ihr einverstanden, wenn ich Tolja Roys Schmuck verkaufen lasse?«, fragte Natalja. »Er hat gute Kontakte.«
»Nein«, sagte Sofi. »Tolja wird das erstbeste Angebot annehmen. Ein Bekannter von mir ist Juwelier und kennt sich damit bestimmt besser aus. Ich gehe gleich morgen zu ihm. Je eher wir die Sachen los sind, desto besser.«
»Hollywood, wir kommen«, frohlockte Natalja, ohne von der Kiste aufzuschauen, die sie gerade vollstopfte.
Sofi betrachtete sie einen Augenblick, und auch Lena hielt inne. Jetzt hob Natalja den Kopf und runzelte die Stirn. »Was ist?«, fragte sie verwirrt.
»Willst du es ihr sagen oder soll ich?«, fragte Lena.
Sofi holte tief Luft. Natalja war sich offenbar nicht über die Konsequenzen ihres Tuns im Klaren. Sie würde sehr enttäuscht sein. »Wir können nicht nach Amerika, Natalja.«
»Was? Warum? Das war doch der Sinn und Zweck …« Sie verstummte. »Ach so. Er ist in Amerika, und …«
»Und du hast seinen Wagen gestohlen. Unter anderem«, vollendete Lena den Satz.
»Aber Amerika ist ein riesiges Land!«, heulte Natalja auf.
»Wenn er die Polizei verständigt hat, dann wirst du bei der nächsten Einreise geschnappt. Und selbst wenn nicht: Willst du die ganze Zeit mit der Angst leben, dass dir deine Vergangenheit womöglich zum Verhängnis werden könnte?«
Natalja schüttelte den Kopf und zog eine Schnute. »Aber ich will ein Filmstar werden.«
»In anderen Ländern werden auch Filme gedreht«, sagte Sofi. »Wie wär’s mit Frankreich?«
»Wir können alle kein Französisch«, wandte Lena ein.
»Dann müssen wir nach England.«
»London«, sagte Natalja, als wollte sie ausprobieren, ob es sich genauso gut anfühlte wie »Hollywood«.
»London«, wiederholte Sofi. Sie hatten genügend Geld für die Reise, und obendrein würde es für eine kleine Wohnung und einige andere Notwendigkeiten reichen.
Aber erst musste sie ihre Mutter einweihen.
Stasja redete zwei Wochen nicht mit Sofi.
Die Gegenwart ihrer Cousinen machte die Situation nicht einfacher, im Gegenteil. Sofi hatte ihrer Mutter alles erklärt, während Lena und Natalja bereits ihre Kisten in die Wohnung schleppten. Sie hätten Geld gespart, hatte sie gesagt, und nun sei es bald an der Zeit für sie, Sankt Petersburg zu verlassen. Russland zu verlassen. Mama hatte nichts gesagt, weder in diesem Augenblick noch die darauffolgenden Tage.
Nach zwei Wochen taute das Eis zwar ein wenig, aber Mama sprach nach wie vor nur mit ihr, wenn es sich nicht vermeiden ließ. Die Monate vergingen, und Sofi musste ihre gesamte Freizeit für die überaus umständliche Organisation der Visa aufwenden. Es gelang ihr nicht, Mama aufzumuntern, so sehr sie sich auch bemühte. Sofi hätte gern ihre Aufregung und ihren Frust über den langwierigen Prozess mit dem Menschen geteilt, der ihr am nächsten stand. Sie sehnte sich nach ihrer Gelassenheit und ihren praktischen Ratschlägen, doch ihre Mutter hielt sie auf Abstand.
Als sie endlich, endlich ihre Visa erhielten, bestimmten sie ein Datum für die Abreise und kauften ihre Flugtickets - hin und retour, anders ging es nicht. Für die Rückkehr gaben sie den allerletzten zur Auswahl stehenden Tag an und schworen sich, dass sie einen Grund haben würden,
nach diesen ersten zwölf Monaten um eine Verlängerung ihres Aufenthaltes zu ersuchen. Sie packten ihre Sachen und versuchten, sich auf einen Koffer pro Person zu beschränken, allerdings wurden es bei Lena und Natalja dann doch zwei. Je näher der Abschied von ihrer Heimat rückte, desto melancholischer wurden sie, vor allem Sofi. Sie hätte alles viel einfacher gefunden, wenn sie sich zumindest an der Schulter ihrer Mutter hätte ausweinen können.
Zwei Tage vor der Abreise gingen Natalja und Lena abends aus, damit Sofi und Stasja noch etwas Zeit miteinander verbringen konnten. Sofi räumte eine Weile in ihrem Zimmer herum, leerte eine Schachtel mit alten Studienunterlagen und warf sie in den Abfallcontainer unten im Hof. Als sie zurückkam, saß ihre Mutter auf dem Sofa im Wohnzimmer und sah fern. Sofi näherte sich ihr zögernd.
»Mama?«
»Hm?« Stasja blickte stur geradeaus.
Sofi ging zum Fernseher und schaltete ihn aus. »Mama, wir müssen uns unterhalten.«
»Ich wollte mir das ansehen!«
»Findest du das etwa wichtiger?«
Mama schnaubte. »Unsere Ansichten darüber, was wichtig ist, gehen in letzter Zeit offensichtlich auseinander«, sagte
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