Ueber den Himmel hinaus - Roman
Sie müssen uns bloß einen Preis nennen.«
Natalja hatte keine Ahnung, was sie verlangen sollte. »Ich brauche Geld. Kein Scheck.«
»Bargeld? Das lässt sich einrichten.«
»Und ich muss sofort zu Flughafen.«
»Auch das lässt sich machen.«
Sie betrachtete den Wagen. »Zehntausend Dollar?«, sagte sie unsicher.
Russell lachte. »Wissen Sie, was dieses Auto wert ist?«
Sie schüttelte den Kopf und kam sich dumm vor.
»Tja, wie es aussieht, haben wir heute beide einen Glückstag. Sie kriegen Ihre zehntausend Dollar, und ich bringe Sie zum Flughafen. Wir müssen unterwegs bei einer Bank vorbei …«
»Nicht DeKalb«, sagte sie.
»Kein Problem. Jim, mach du hier weiter. Ich bringe die Lady zu ihrem Flugzeug.«
Sie folgte ihm in seinen klapprigen Pick-up, und schon rumpelten sie durch winterliche Maisfelder. Zum Glück fühlte er sich nicht verpflichtet, mit ihr zu reden, sodass sie ungestört ihren Gedanken nachhängen konnte. Zehntausend Dollar, plus der Diamantring und der Goldschmuck aus der Schatulle. Sie hatte es geschafft. In einem einzigen Coup hatte sie sich selbst, ihrer Schwester und ihrer Cousine
den Weg ins Glück geebnet. Sie kamen in eine Stadt und hielten auf dem riesigen Parkplatz eines Einkaufszentrums.
»Warten Sie hier«, befahl Russell und zog grinsend den Zündschlüssel ab. »Meinen klauen Sie mir nicht.«
Gehorsam lauschte sie dem leisen Ticken des erkaltenden Motors. Sie ließ den Blick über den Parkplatz schweifen, und ihr blieb beinahe das Herz stehen, als sie schräg gegenüber von ihr einen Kombi mit einem Wackeldackel auf dem Armaturenbrett sah. Roys Wagen. Das hier musste sein Einkaufszentrum sein! Wie hatte sie nur so dämlich sein können? In DeKalb hätte ihr keinerlei Gefahr gedroht. Roy war nicht in DeKalb, er war hier.
Am liebsten wäre sie aus dem Auto gesprungen und hätte schleunigst das Weite gesucht. Aber was, wenn sie ihm direkt in die Arme lief? Außerdem müsste sie dann auf die zehntausend Dollar verzichten. Also kauerte sie sich in den Fußraum, zwischen leere Getränkedosen und sonstigen Müll, schlang die Arme um die Knie und hielt den Kopf gesenkt. Eine halbe Ewigkeit verging. Wann immer sie Schritte hörte, war sie überzeugt, es wäre Roy. Sie versuchte, sich Erklärungen auszudenken, doch die Panik lähmte sie. Wenn dieser Albtraum doch nur endlich vorbei wäre!
Die Tür ging auf. Russell lachte.
»Vor wem verstecken Sie sich denn?«
»Fahren wir, bitte!«
»Wollen Sie sich nicht wieder richtig hinsetzen?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Wie Sie meinen. Hier.« Er hielt ihr einen dicken Umschlag hin. »Zahltag.«
Während Russell rückwärts aus der Parklücke fuhr, riskierte sie einen letzten Blick auf Roys Wagen. Er stand noch immer am selben Fleck. Bald würde Roy darin nichtsahnend
zu seinem ausgeplünderten Haus zurückkehren. Natalja wusste nicht recht, wem die Tränen galten, die ihr plötzlich in die Augen stiegen. Sie wollte nur auf schnellstem Wege zum Flughafen und nach Hause.
KAPITEL 7
Jeden Tag auf dem Nachhauseweg passierte Sofi die Galerie in der Borodinskaja-Straße, und wann immer es eine neue Ausstellung gab, ging sie hinein und schlenderte durch die labyrinthartigen Räume mit den gebohnerten Holzböden, um sich die Kunstwerke anzusehen. An dem Tag, an dem sie Julien kennenlernte, war sie tief in Gedanken versunken. Sie fragte sich, wie es Natalja wohl in Amerika ergehen mochte; ob sie gut angekommen war, ob Roy Creedy sie anständig behandelte, ob ihre Mission bereits erfolgreich gewesen war. Sie fragte sich auch, ob sie sich je ihre Tat würde verzeihen können. Deshalb hätte sie die neuen Plakate bestimmt übersehen, wenn sie nicht direkt vor der Galerie beinahe mit einem blonden Mann Mitte dreißig zusammengestoßen wäre, der soeben eines in der Vitrine am Eingang befestigt hatte.
»Verzeihung«, sagte er abwesend auf Russisch, wenn auch mit starkem Akzent, und wandte sich ab.
»Kein Problem.«
Die eine Hälfte des Plakats zeigte einen weiblichen Akt in prächtigen, satten Farbtönen; daneben stand der Name des französischen Malers: Julien Blanchard. Während der Mann ein Plakat in den zweiten Glaskasten hängte, betrat Sofi die Galerie.
Julien Blanchards Gemälde befanden sich im zweiten Raum, der den internationalen Künstlern vorbehalten war, und sie berührten Sofi zutiefst. Sie stand lange davor und staunte darüber, wie die konstrastierenden Farben sich gegenseitig zum Leuchten zu bringen schienen. Die
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