Ueber den Himmel hinaus - Roman
Knarren zum Einsatz kommen? Sie hastete über den Balkon und durch das Gästezimmer in den Korridor und riss den Hörer von der Gabel.
»Hallo?«, sagte sie und versuchte, möglichst nicht nach Luft zu ringen.
»So geht man bei mir nicht ans Telefon«, knurrte er. »Nächstes Mal sagst du gefälligst: ›Hier bei Creedy, Natalja am Apparat.‹ Warum hat das so lange gedauert?«
»Ich wusste nicht, ob ich rangehen darf. Aber dann ich dachte, was ist, wenn das ist mein liebster Roy? Und du bist es wirklich. Ich bin froh, dass ich abgenommen habe.«
Er lachte leise. »Und, bist du ein braves Mädchen?«
»Ja, natürlich.«
»Dann lass uns heute Abend essen gehen. Ein paar meiner Geschäftspartner treffen sich gegen sieben in der Stadt. Ich werde ein bisschen mit dir angeben.«
»Gute Idee! Ich liebe essen gehen!«
»Bis vier bin ich zurück, und dann besorgen wir dir ein hübsches Kleid.«
Spätestens jetzt hatte sie Mitleid mit ihm, aber sie war schon zu weit gegangen. »Bis nachher!«
Natalja hetzte zurück ins Schlafzimmer, um ihre Suche fortzusetzen. Sie öffnete noch einmal den Kleiderschrank, holte eine Baseballkappe nach der anderen vom Regal. Unter der letzten befand sich eine quadratische Metallkassette mit einem Schloss. Der Schlüssel passte. Sie drehte ihn um und stieß im wahrsten Sinne des Wortes auf Gold. Vier schwere Armbänder, eine mit Diamanten besetzte Uhr, Ringe, ein Federhalter, alles aus Gold. Und ein Autoschlüssel mit einem Anhänger aus Gold und Diamanten.
Natalja hielt ihn hoch und betrachtete ihn nachdenklich.
Der rote Sportwagen.
Sie nahm den Inhalt der Kassette an sich, verließ den Raum und schnappte sich ihren Koffer. Dann ging sie nach unten und machte sich daran, die Verbindungstür zu öffnen, durch die man vom Haus aus in die Garage gelangte. Auch sie war abgeschlossen, aber das Schloss war alt, und mithilfe zweier Büroklammern hatte sie es in zwanzig Minuten geknackt. Zwanzig Minuten, in denen sie ihre Meinung noch hätte ändern können. Sie hatte genug erbeutet. Doch sie verdrängte Angst, Bedauern, Schuldgefühle, alle Gedanken an die Konsequenzen.
Sie öffnete das elektrische Garagentor, ließ die Sonnenstrahlen über die glänzende rote Motorhaube tanzen.
Mein ganzer Stolz.
Sie schloss den Wagen auf, nahm auf dem Fahrersitz aus weißem Leder Platz und ließ den Motor an. Der reinste Tiger.
Sie legte den ersten Gang ein und fuhr los. Gab zu wenig Gas, sodass der Motor abstarb. Ganz ruhig , ermahnte sie sich. Konzentrier dich. Tief durchatmen. Der Tiger erwachte knurrend wieder zum Leben. Sie brauste los, suchte im Radio vergeblich nach einem Country-Sender, schaltete es
wieder aus. Sie hatte keine Ahnung, in welcher Richtung der Flughafen lag. Hauptsache, schnell weg von hier.
Eine Stunde später hielt sie an einer Tankstelle direkt neben dem Highway. Sie fürchtete schon, es sei geschlossen - der Laden wirkte baufällig, und bei der angrenzenden Werkstatt waren die rostigen Rolltore heruntergelassen -, doch dann trat ein Mann in einem Overall aus dem Laden. Er schlenderte gemächlich zu ihrem Wagen und rieb sich das stoppelige Kinn. Auf dem Namensschild an seiner Brust stand Russell.
»Kann ich Ihnen helfen, Lady?«
»Ich brauche Autogeschäft.«
»Autogeschäft?«
Sie verfluchte ihr schlechtes Englisch. »Ich muss Auto verkaufen.«
Russell trat einen Schritt zurück und betrachtete den schnittigen Wagen. »So, so. Ist das Ihrer?«
»Natürlich.«
»Und Sie haben die Papiere dabei?«
»Ich … Nein.« Sie hätte sich ohrfeigen können. Selbstverständlich brauchte man bei einem Autoverkauf die dazugehörigen Dokumente.
Er drehte sich um und rief über die Schulter in Richtung Werkstatt: »Jim! Mach auf!«
Natalja wusste nicht recht, was sie tun sollte. Was hatte er vor? Sie überlegte, den Rückwärtsgang einzulegen und davonzubrausen, aber dafür hätte sie den Mann umfahren müssen. Kettengerassel; eines der Rolltore öffnete sich.
»Rein mit Ihnen. Uns fällt bestimmt eine Lösung ein.«
Natalja nickte knapp und steuerte den Wagen in die Werkstatt, und ehe sie sichs versah, begann Jim, die Nummernschilder abzumontieren.
»He!«, protestierte sie.
»Na, na«, brummte Russell. »Ich dachte, wir sollen Ihnen helfen?«
Wieder sorgten ihre mangelnden Sprachkenntnisse dafür, dass sie sich hilflos fühlte. »Was machen Sie?«, fragte sie.
»Das ist nicht Ihr Auto, Schätzchen. Aber Jim und ich wissen, wie wir es zu unserem Auto machen können.
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