Ueber den Himmel hinaus - Roman
Mietvertrag übernehmen will.«
»Das können wir uns nicht leisten, Sofi. Er müsste viel mehr arbeiten, und was wird dann aus seiner Band? Nein, wir müssen uns eine kleinere Wohnung weiter außerhalb suchen.«
»Ich könnte euch finanziell unter die Arme greifen.«
Lena wollte gerade ablehnen, als sie plötzlich ein rasender Schmerz durchfuhr. Unmittelbar darauf ergoss sich zwischen ihren Beinen ein Schwall Flüssigkeit auf den Küchenboden. Sofi rannte ins Bad, um Handtücher zu holen. Lena stand wie versteinert da, unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Sie konnte ihre Kinder heute nicht zur Welt bringen. Es gab noch viel zu viel zu tun.
»Sollen wir ins Krankenhaus fahren?«, fragte Sofi. Sie reichte Lena ein Handtuch und ließ das andere auf den Boden fallen.
Lena schüttelte den Kopf. »Ich warte auf Sam.«
»Es kann noch Stunden dauern, bis er kommt.«
»Durchschnittlich dauern die Wehen beim ersten Baby um die zwölf Stunden, bei Zwillingen sogar noch länger. Ich …« Sie brach ab und schnappte nach Luft, als sie erneut ein stechender Schmerz durchzuckte.
»Du solltest dich hinsetzen.« Sofi führte sie zum Sofa.
Lena legte sich auf die Seite, bis die Schmerzen nachgelassen
hatten. »Himmel, wenn das die nächsten zwölf Stunden so weitergeht …«, keuchte sie.
»Keine Sorge, ich bin ja hier.« Sofi setzte sich neben sie und schob ihr die Haare aus dem Gesicht. »Ich finde, du solltest ins Krankenhaus fahren.«
»Es ist noch jede Menge Zeit, Sofi. Ich warte auf Sam.«
Wieder baute sich der Schmerz im Rücken auf, breitete sich zwischen ihren Beinen aus. Lena stöhnte. Unfähig, still zu sitzen, rappelte sie sich auf, beugte sich über die Rückenlehne des Sofas und versuchte, sich zu entspannen, als das Stechen wiederkehrte. Sofi rieb ihr den Rücken und gab tröstende Laute von sich.
Sobald das Ziehen aufgehört hatte, sank Lena nach Luft ringend in sich zusammen.
»Es lagen nur drei Minuten dazwischen«, bemerkte Sofi.
»Nein, es war länger.«
»Ich habe mitgestoppt.«
»Du musst dich geirrt haben.«
»Lena, du wirst nicht auf Sam warten.«
Lena hatte sich noch nie so hilflos gefühlt. Sie zitterte vor Angst, unfähig, eine Entscheidung zu treffen, während sich erneut dieser unerträgliche Druck in ihrem Körper ausbreitete.
»Los, komm, zieh deine Schuhe an. Wir fahren ins Krankenhaus.«
»Ruf einen Krankenwagen«, presste Lena hervor.
Sofi hastete davon, und Lena stieß einen kehligen Laut hervor, als sie erneut in einem Strudel aus Schmerz versank. Schon verspürte sie den Drang, dem Druck nachzugeben. Jegliches Zeitgefühl kam ihr abhanden, als sie von einer Wehe nach der anderen erfasst wurde; ein grausamer Rhythmus aus kurzen, rettenden Ruhepausen und
überwältigenden Qualen, die ihre Sinne benebelten. Sofi kehrte zurück und massierte ihr den Rücken, berichtete, der Krankenwagen sei unterwegs, doch Lena hörte sie kaum. Sie kämpfte gegen die immer stärker werdenden Schmerzen an, bis eine Wehe so lange und intensiv war, dass sie überzeugt war, sie müsste sterben. Es war, als würde sich eine Lokomotive einen Weg durch ihren Körper bahnen.
»Sofi«, keuchte Lena. »Sie kommen.«
»Nein, nein. Es hat erst vor einer halben Stunde angefangen.«
Bei der nächsten Wehe kniete sich Lena instinktiv hin und begann zu pressen. Sie konnte nicht anders. Sofi, die ihre übliche Gelassenheit vollkommen verloren hatte, half ihr aus der Hose. Jemand schrie, vermutlich sie selbst. Von weit, weit her erklang Sirenengeheul. War das der Krankenwagen? Wie es aussah, würde nicht nur Sam die Geburt verpassen, sondern auch die Sanitäter. Die Schmerzen waren unerträglich.
»Ich sehe den Kopf«, hörte sie Sofis Stimme wie aus der Ferne.
Dann rutschte das Baby heraus, und Lena fiel weinend auf den Boden.
»Es ist ein Mädchen!« Sofi hob den glitschigen, blutverschmierten Säugling auf und legte ihn Lena auf die Brust.
Das Baby öffnete den Mund und begann zu weinen. Lena war, als würde sie träumen. Überrascht und entsetzt zugleich betrachtete sie das sich windende Geschöpf, berührte es behutsam. Ich habe es geschafft , dachte sie. Ich lebe noch.
»Was soll ich tun?«, fragte Sofi. »Soll ich die Nabelschnur durchschneiden?«
»Keine Ahnung. Wo bleibt nur der Krankenwagen? Ich …«
Der Drang zu pressen überkam sie erneut. Einen Augenblick später platzte die zweite Fruchtblase, und zugleich ergoss sich zu ihrem Entsetzen ein Schwall hellroten Blutes auf den
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