Ueber den Himmel hinaus - Roman
gab so vieles, wofür sie ihn bewunderte.
»Wann geht morgen dein Flug nach Paris?«
»Am späten Nachmittag. Aber erst muss ich Lena in ihren Zug setzen. Sie wird bestimmt Hilfe brauchen; sie hat sich noch nicht ganz von der Operation erholt.«
»Dafür hat sie doch Sam.«
»Glaubst du denn, er schafft das?«
Natalja spähte lachend über die Schulter, um sicherzugehen, dass Lena nicht mithörte. »Ts, ts, Sofi. Sam ist ein Schatz.«
»Schon, aber er ist ein kleiner Junge, kein Mann.«
Lena schlich leise aus dem Schlafzimmer und schloss behutsam die Tür hinter sich. Sie streckte die Daumen hoch und kehrte zu ihrem Platz auf dem Sofa zurück. »So, jetzt sollte drei, vier Stunden Ruhe sein«, sagte sie.
»Wann fangen sie denn an durchzuschlafen?«, fragte Natalja.
»Mama hat mir immer erzählt, ich hätte erst mit zwei Jahren durchgeschlafen«, bemerkte Sofi.
Lena ächzte. »Ich sterbe , wenn das zwei Jahre so weitergeht.«
Sie griff nach ihrem Glas, trank aber nicht, sondern starrte einen Augenblick gedankenverloren vor sich hin. Sie sah so müde und überfordert aus, dass Natalja sich neben sie setzte, um sie zu umarmen.
»Ist alles in Ordnung?«, erkundigte sie sich.
Lena zwang sich zu lächeln. »Ich musste nur gerade über
uns drei nachdenken; darüber, dass sich unsere Wege jetzt trennen. Ich will nicht, dass wir uns fremd werden, nachdem wir so viel zusammen durchgemacht haben.«
Sofi stellte ihr leeres Glas ab, zog die Knie an und stützte das Kinn darauf. »Geht mir genauso.«
»Briefe und Anrufe sind einfach nicht genug. Wir sollten uns einmal im Jahr treffen«, schlug Lena vor. »Eine Woche. Mal hier in London bei Natalja, mal in Briggsby, mal in Frankreich bei Sofi.«
»Ich kann nur in der Woche zwischen Weihnachten und Neujahr«, wandte Natalja ein. »Das ist so ziemlich die einzige Zeit, in der ich ganz sicher nicht arbeiten muss.«
»Ja«, rief Lena eifrig. »Das passt doch, im Winter, so wie damals nach Onkel Iwans Tod; wisst ihr noch?«
»Wie sollte ich das je vergessen?«, sagte Sofi.
»Wir haben uns geschworen, immer füreinander da zu sein«, erinnerte sich Natalja, und es kam ihr vor, als wäre es erst gestern gewesen.
»Also, abgemacht«, sagte Lena. »Wir kommen jeden Winter eine Woche lang zusammen, und wir lassen uns von nichts und niemandem davon abhalten, weder Familie noch Beruf. Bei wem sollen wir uns als Erstes treffen?«
»Bei dir. Deine Kinder werden noch klein sein; du wirst sie nicht allein lassen können.«
Sofi warf einen letzten Blick in den Schrank, in die Schubladen der Kommode, unters Bett. Nichts deutete darauf hin, dass sie fast ein Jahr hier gewohnt hatten. Lächelnd erinnerte sie sich an den Tag ihrer Ankunft, an die Aufregung, die sie ihre damals noch ganz frischen Schuldgefühle hatte vergessen lassen. Seither hatte sich viel getan, jedenfalls im Leben ihrer Cousinen.
Sie spähte über die Schulter zu ihren zwei Koffern. Mit dem einen, der ihre Kleider enthielt, war sie aus Russland gekommen. Im anderen, dem neuen, befanden sich ihre Perlen, ihre stetig wachsende Sammlung von Halbedelsteinen, Spulen mit Silberdraht, Werkzeuge. Wo sie hinwollte, gab es keine Cousinen, die sie brauchten; keine Ablenkung, die sie von der Verwirklichung ihrer Pläne abhalten würde. Jetzt kam endlich sie an die Reihe. Ihre Zukunft erwartete sie.
Sie versuchte, sich diese Zukunft auszumalen, als sie nun zum letzten Mal die Tür abschloss. Was würden die kommenden Jahre bringen? Sie brannte schon darauf, es herauszufinden.
Teil Drei
KAPITEL 21
1996
Natalja stellte sich schlafend. Nicht, dass es je etwas genutzt hätte, aber einen Versuch war es wert. Ruperts Liebkosungen wurden energischer. Ihm war es egal, ob sie schlief oder nicht. Er war es gewohnt, zu bekommen, was er wollte, und dazu gehörte auch Sex - jeden Tag.
Anfangs hatte sie das romantisch gefunden. Aufregend. Manchmal hatten sie es sogar zweimal täglich getan, und Natalja hatte es genossen, die bildschöne, willige Geliebte zu mimen, die für jede Frivolität zu haben war und ihm jeden Wunsch erfüllte. Sie hatte angenommen, dass dieser Enthusiasmus bei einem Mann seines Alters nicht lange anhalten würde. Doch sein Hunger nach Sex ließ nicht nach, und die Befriedigung ihrer Bedürfnisse rückte schon bald in den Hintergrund. Er wurde immer ungeduldiger; sie fing an, ihm etwas vorzuspielen. Jetzt, nach knapp zwei Jahren, war ihr Ruperts Höhepunkt wichtiger als ihr eigener.
Sie setzte ein
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